Durch die Dolomiten zur Lagunenstadt

Sterzing – Bruneck – Toblach – San Vito di Cadore – Belluno – Treviso – Venedig

Von Sterzing nach Bruneck

Wir sind in Italien angelangt und so langsam nähern wir uns dem fanalen aber vielleicht auch attraktivsten Abschnitt unserer Radreise von Frankfurt nach Venedig.

Nach ausgiebigem Frühstück  – heute haben wir ja Zeit – satteln sie Räder und folgen weiter dem „Bahntrassenradweg“ durch das Wipptal. Es geht fast die ganze Zeit sanft bergab. Die Kilometer vergehen wie im Flug und die Fahrt bei bestem Wetter durch die schöne Landschaft macht richtig Laune. Lediglich einen Wermutstropfen gibt es, der uns jetzt schon länger, seit dem Inntal, begleitet:

In den Alpen ballt sich der Verkehr in den engen Flusstälern. Sie sind seit jeher die wichtigsten Verkehrsadern, verbunden mit Pässen an den niedrigsten Gebirgsübergängen. So liegen Radwege, Autobahn und Schienen meistens dicht beieinander. Die Ruhe, wie wir sie zwischen Main und Voralpenland erlebt haben, finden wir hier nicht mehr so oft. Aber dafür ist die Aussicht umso schöner.

Nach 25 km erreichen wir die Festung Franzensfeste. Jeder, der schon mal von Süden kommend über den Brenner gefahren ist, kennt dieses monumentale Bauwerk neben der Autobahn, das in den 30ern des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, um die transalpine Verkehrsverbindung über den Pass zu sichern. 

Hier verlassen wir den Wipptal-Radweg, der auf südtirolere Seite der Eisack folgt und fahren nicht weiter Richtung Süden nach Brixen und Bozen, sondern biegen nach Osten ins Pustertal ab. Ab jetzt nehmen wir Kurs auf die Dolomiten. Vorbei ist es mit dem Dahinschweben, Höhenmeter sind wieder angesagt. Zunächst verläuft die Route oberhalb des Tals, später folgen wir die ganze Zeit der Rienz, dem Nebenfluss der Eisack, der das Pustertal formte – aufwärts. Bald wird es wesentlich ruhiger, denn wir sind relativ weit weg von dem restlichen Verkehr und auch den Ortschaften. Letzteres wiederum hat zur Folge, dass keine Gastronomie an der Strecke liegt und uns die Münder langsam trocken werden. Es gibt halt immer was zu meckern…

Am frühen Nachmittag erreichen wir Bruneck, unser heutiges Ziel und wir haben so noch viel Zeit, durch die schöne Altstadt zu schlendern. Wir verbinden dies mit einem Besuch auf Schloss Bruneck, das nur wenige Gehminuten von ihr entfernt auf einem Hügel liegt und eine sehr schöne Aussicht auf die Stadt und die umgebende Landschaft gibt. Die im 13. Jahrhundert erbaute Burganlage ist gleichzeitig auch Sitz eines Messner-Mountain-Museums. Der Extrembergsteiger hat an sechs verschiedenen Standorten in den italienischen Provinzen Südtirol und Belluno beeindruckende Bergmuseen errichtet, die jeweils eigene Themenschwerpunkte haben. Hier in Bruneck ist das Museum “Ripa”, das den Bergvölkern der Welt gewidmet ist. Ein Besuch lohnt sich allemal!

Blick vom Schloss Bruneck mit dem Messner-Mountain-Museum „Ripa“ auf die Altstadt von Bruneck

Von Bruneck nach Toblach

Wir schlafen aus und frühstücken in aller Ruhe, denn heute steht mit nur 30 km die kürzeste Etappe der gesamten Reise an. Zwar geht es die meiste Zeit bergauf bis auf 1250 m, aber die Eckdaten der Tour kommen uns trotzdem fast wie die Aussicht auf einen Ruhetag vor. Man könnte die kommenden beiden Etappen wohl auch an einem Tag schaffen können, aber für das Herz der Dolomiten wollen wir uns besonders viel Zeit lassen.

Wir starten bei schönstem Wetter. Schon kurz nach Bruneck folgen wir der Rienz weiter durch eine tiefe Schlucht fernab des Autoverkehrs. Der Weg ist grob geschottert. Der Fluss brodelt eindrucksvoll und die Vegetation in dem Naturschutzgebiet ist sehr ursprünglich und üppig. Selten hatten wir bisher das Gefühl,  so fernab der Zivilisation zu sein.

Bald kommen wir an eine Stelle, an der 2 Carabiniere gerade dabei sind, die Radroute zu sperren. Wir nähern uns ihnen langsam und schauen sie dabei an. Da keine eindeutige Reaktion von ihnen erkennbar ist und uns auch Radfahrer aus der Gegenrichtung entgegenkommen, fahren wir langsam an ihnen vorbei, der Radroute weiter folgend. Wir passieren 2 urige Tunnel nur für Radfahrer und Wanderer, bevor uns der Grund für die Streckensperrung klar wird. Ein kürzliches Unwetter hat wohl dafür gesorgt, dass abgeknickte Bäume den Weg versperren. Wir müssen die Räder drüber heben, was bei meinem MTB kein großes Problem ist. Bei Kerstins E-Bike mit dem gesamten Gepäck ist hingegen schon ordentliches Zupacken erforderlich. 

Bald darauf verlassen wir die Schlucht, das Tal wird wieder breiter und wir erreichen den Olanger See. An seinem Ufer machen wir erst einmal Pause und genießen die Aussicht. Heute haben wir ja viel Zeit. Kurz nachdem wir den See verlassen, sehen wir Berge vor uns, die im Vergleich zu denen der letzten Tage eine ganz andere Form annehmen. Sie werden immer scharfkantiger und ausgesetzter. Keine Frage, wir fahren direkt auf die Dolomiten zu. 

Am Olanger See.
Die Form der Berge am Horizont lassen keine Zweifel: Wir bewegen uns direkt auf die Dolomiten zu.

Mittlerweile sind sehr viel mehr Radfahrer unterwegs als irgendwo anders auf unserer bisherigen Tour. Allerdings haben die meisten kein Gepäck und fahren offenbar auf Rädern, die von hiesigen Hotels tageweise vermietet werden. Dementsprechend trifft man Biker aller Alters- und Gewichtsklassen – dem E-Bike sei Dank! Sicher sind in den Bergen noch einige klassische Mountainbiker und Rennradler mehr unterwegs, aber auf der gesamten Radroute, die wir bisher gefahren sind, sind die E-Biker ganz klar in der Überzahl. Es sei ihnen gegönnt! Als „Bio-Biker“ habe ich aber so langsam das Gefühl, Angehöriger einer aussterbenden Art zu sein.

Der Radverkehr hat wieder deutlich zugenommen – E-Bikes sei Dank! Als „Bio-Biker“ fühlt man sich schon fasst als Angehöriger einer aussterbenden Art.

Weiter geht es den Dolomiten entgegen und wir erreichen schon früh unser Hotel in Toblach. Der kürzeste Radtag ist ganz sicher auch einer der schönsten, denn die Kulisse ist einfach traumhaft. Zudem genießen wir es, nach den anstrengenden letzten Tagen etwas lockerer angehen zu können. 

Wenige Kilometer entfernt von unserer Unterkunft liegt ein echtes Postkartenmotiv. Der Toblacher See ist sicherlich einer der idyllischsten Seen der Südalpen. Er liegt am Eingang des Höhlensteintals, des Tals, das wir am nächsten Tag durchfahren wollen. Solange wollen wir aber nicht warten, stattdessen machen wir uns bereits jetzt zu Fuß auf den Weg, um den See zu erkunden. Natürlich ist der See wegen seiner Schönheit gut besucht, dennoch finden wir hier eine nette Atmosphäre inmitten einer Bilderbuchlandschaft vor.

In einem kleinen Biergarten direkt am Ufer lassen wir uns nieder, genießen den Ausblick auf die Berge und lassen uns Apfelstrudel und Eis schmecken. Ich habe das Gefühl, dass hier am Eingang der Dolomiten die Berge immer zackiger werden und wir aufgrund der leckeren Südtiroler Küche und den kurzen Etappen immer runder.

Von Toblach nach San Vito di Cadore 

Der Wecker geht um halb acht, wir schauen aufs Thermometer und bleiben liegen. Es sind 5 Grad, die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel. Geben wir ihr noch ein wenig Zeit, um unsere heutige Strecke vorzuwärmen!

Nach leckerem Frühstück starten wir gegen 9:30 Uhr. Das Thermometer ist mittlerweile auf über 10° geklettert, so richtig warm fühlt sich das nicht an. Aber das macht nichts, denn vor uns liegt ein, wenn nicht der Höhepunkt unserer gesamten Tour: Wir durchqueren das Herz der Dolomiten!

Am Anfang will sich die Euphorie allerdings noch nicht so recht einstellen. Das altbekannte Problem: Das Tal ist eng und der Radweg folgt der vielbefahrenen Landstraße. Nach etwa 6km ändert sich das Bild. Wir entfernen uns immer häufiger von der Straße und sind wieder auf einer ehemaligen Bahntrasse unterwegs, diesmal aber nicht asphaltiert, sondern grob geschottert. Das passt auch irgendwie besser zu dem gewaltigen Alpenpanorama, das wir ständig vor Augen haben, egal in welche Richtung man schaut. 

Wir fahren durch den „Nationalpark Drei Zinnen“ und passieren die gleichnamige Gebirgsgruppe, die wohl wie kaum eine andere für die Schönheit der Dolomiten steht. Kurz darauf erreichen wir den Dürrensee mit dem Monte Cristallo im Hintergrund. Hier machen wir – wie so oft am heutigen Tag – eine Pause. Die Landschaft ist atemberaubend und man muss sie einfach auf sich wirken lassen.

Immer wieder kommen wir aber auch an Soldatenfriedhöfen und anderen stummen Zeugen einer der dunkelsten Epochen Europas vorbei. Hier verlief früher die Grenze zwischen Österreich und Italien und während des Ersten Weltkriegs standen sich italienische Truppen und die Österreich-Ungarns, unterstützt vom Alpenkorps des Deutschen Reichs, in einem zermürbenden Stellungskrieg gegenüber. Viele tausend Menschen kamen dabei ums Leben. Die meisten von ihnen nicht durch feindliches Feuer, sondern durch Hunger, Kälte, Krankheit und Lawinen. 

Doch genug der traurigen Geschichten und zurück zur Tour! Sie ist viel zu schön, um dunklen Gedankengängen nachzuhängen. Das schöne an Radwegen auf Bahntrassen ist, dass die Steigungen so moderat sind, dass man sie kaum spürt. So erreichen wir ohne große Anstrengung nach 15 km den höchsten Punkt unserer gesamten Radtour, den Passo Cimabanche, mit 1540 m Seehöhe immerhin 200 m höher als der Brenner. Beim Überqueren des Passes verlassen wir Südtirol und erreichen Venetien. Jetzt sind wir im „richtigen“ Italien und mit einem Mal spricht hier auch niemand mehr deutsch. Von jetzt an geht es bis nach Venedig überwiegend bergab.

Bei unserer Abfahrt nach Cortina d’Ampezzo bleibt uns das spektakuläre Panorama erhalten, aber wir können es nicht mehr ganz so genießen, weil hier wahre Völkerscharen unterwegs sind. E-Bikes mit Kinder- und Hundeanhängern, Wanderer und alles andere, was irgendwie kreuchen und fleuchen kann. In Cortina selbst dann ein regelrechter Kulturschock: ein Gewusel wie auf der Frankfurter Zeil während des Schlussverkaufs. Wir machen dennoch eine Pause in einem Straßencafe des mondänen Skiorts und schauen ein wenig den Leuten zu. Kerstin meint, dass sei viel besser als Fernsehen. 

Trotzdem sind wir heilfroh, hier nicht unsere Übernachtung gebucht zu haben, mal abgesehen davon, dass die Hotels in Cortina ohnehin sauteuer sind. Stattdessen fahren wir noch 10 km talabwärts bis wir in dem kleinen Ort San Vito di Cadore ankommen, unserem heutigen Ziel. Dort gibt es einen sehr schönen See mit toller Bergkulisse, an dem wir den Rest des Nachmittags verbringen. Die heutige Etappe ist wirklich ein Traum. Sie hat nur einen Fehler: Sie ist viiiiel zu kurz!

Von San Vito di Cadore nach Belluno 

Manchmal hat man gar keine großen Erwartungen an die Etappe … und wird dann doch überrascht!

Was soll nach so einem Tag wie gestern schon kommen? Die bekanntesten Naturdenkmäler auf unserem Weg durch die Dolomiten liegen bereits hinter uns. Der Rest firmiert vermutlich unter der Kategorie „ganz nett“. Das zumindest denken wir, als wir uns am Morgen auf die Räder schwingen. 

Gleich nach dem Start werden wir aber eines besseren belehrt. Sanft geht es auf glattem Asphalt bergab mitten durch herrliches Dolomitenpanorama. Wieder einmal sind wir auf einer ehemaligen Bahntrasse unterwegs, die sich diesmal geradezu abenteuerlich an die Berghänge schmiegt. Immer wieder fahren wir durch Tunnel oder über kleine Viadukte. Am Rand des Radwegs geht es – gut gesichert – oft mehrere hundert Meter in die Tiefe.

Immer wieder halten wir kurz an und genießen den Ausblick, der sich an diesen Stellen bieten. Sicher, die spektakulären und namhaften Berge der Dolomiten haben wir hinter uns, aber wie sich hier die kleinen Bergdörfer in die immer noch imposante Gebirgslandschaft integrieren, ist einfach beeindruckend. Die etwa 25 Kilometer, die wir auf diesem Weg zurücklegen, gehören sicherlich zu den schönsten der gesamten Reise.

Danach endet der Radweg und mündet in eine Landstraße. Sie ist gut ausgebaut, aber kaum befahren und fällt über mehrere Kilometer in Serpentinen steil ab ins Tal der Piave. An ihr entlang geht es weiter, immer Richtung Süden, der Sonne entgegen. 

Die Route am Fluss ist in der Tendenz immer noch leicht abfallend, nur merken wir das nicht mehr. Unser Freund Jörg, der München – Venedig zusammen mit seinem Sohn im vergangenen befahren hat, warnte uns bereits im Vorfeld vor dem scharfen Gegenwind, der bei schönem Wetter talaufwärts pfeift. Es ist ein typisches Wetterphänomen im Gebirge: Bei intensiver Sonneneinstrahlung erhitzen sich die Berghänge besonders stark. Die sie umgebende Luft steigt auf und durch den entstehenden Unterdruck wird die Luft aus dem Tal wie durch einen riesigen Staubsauger angesogen.

Das ist auch heute wieder der Fall. Ich hatte vor der morgendlichen Abfahrt gehofft, dass die Großwetterlage, die tendenziell durch eine Nordströmung geprägt ist, uns schönen Rückenwind beschert, aber weit gefehlt! Die lokalen Winde überlagern die Großwetterlage deutlich und so kämpfen wir gegen den Wind, bis sich die Kurbeln biegen.

Ich glaube, alle Radler hassen Gegenwind viel mehr als Steigungen. Nach einer Steigung siehst du oben, was du geleistet hast und wirst meistens dann auch noch mit einer schönen Abfahrt belohnt. Beim Wind ist das nicht der Fall, was dann eben auch ein mentales Problem sein kann. Normalerweise muss ich auf solchen Wegen, auf denen es gut asphaltiert leicht bergab geht, oft auf Kerstin warten, da ihr E-Bike bei 25km/h die Unterstützung einstellt und ich auf dem leichten MTB deutlich schneller fahren könnte. Heute ist es umgekehrt. 

Immer wieder lasse ich Kerstin vorfahren und nutze jede Gelegenheit, um mich in ihren Windschatten zu hängen. Dass ihr Bike mit fetten Seitenltaschen und weiterem Gepäck bestückt ist, kommt mir dabei sehr entgegen.

Nach knapp 60 Kilometern verlassen wir erstmals die Radroute München – Venezia, denn ein Stückchen abseits der Strecke liegt das Städtchen Belluno. Dort war ich vor einigen Jahren schon einmal und es hat mir so gut gefallen, dass wir einen kleinen Umweg gerne in Kauf nehmen, zumal in diesem Abschnitt der Radroute die Übernachtungsmöglichkeiten direkt an der Strecke eher rar gesät sind.

Die Altstadt von Bellono.

So erreichen wir trotz des Windes relativ entspannt unser heutiges Ziel. Belluno hat eine sehr schöne Altstadt und liegt am südlichen Ende der Alpen. Sie werden wir morgen verlassen und in der Ebene erwartet uns wieder eine neue Landschaft, die uns jetzt schon neugierig macht…

Von Belluno nach Treviso

Ein letztes Mal eine lange Etappe! Mittlerweile macht uns das aber keine Gedanken mehr. Während wir vor 2 Wochen in so einem Fall noch extra früh aufgestanden sind und uns das Frühstück für unterwegs eingepackt haben, schlafen wir mittlerweile aus und frühstücken in Ruhe, bevor es losgeht. 

Wir radeln zunächst 7km auf der gestrigen Strecke zurück, da unser Übernachtungsort Belluno abseits der Radroute liegt und folgen dann der Piave weiter bis zum Lago di Santa Croce. Es ist ein erstes Highlight an diesem sehr abwechslungsreichen Radtag. Der See ist sehr schön gelegen und von Gipfeln umrahmt, die uns das Gefühl geben, noch mitten in den Bergen zu sein. An seinem Ufer entlang radelnd wundern wir uns, dass wir trotz der schönen Lage zwischen all den Bergen kaum Menschen treffen. Bei vergleichbaren Seen in Bayern oder Österreich wäre zu dieser Uhrzeit sicher schon richtig was los. 

Am südlichen Ende des Sees mündet der geschotterte Radweg auf eine schwach befahrene Landstraße und zum letzten Mal auf dieser Tour nehmen wir eine längere Steigung in Angriff. Noch einmal gilt es, Höhenmeter zu überwinden, bevor es nach der Passhöhe im Sturzflug wieder runter geht. 8km lang brauchen wir kaum ein einziges Mal die Kurbel zu drehen. Als wir dann auf unter 200 m Seehöhe ankommen, haben wir die Alpen endgültig hinter uns gelassen und die Weite der Poebene tut sich vor uns auf. 

Wobei „Ebene“ es nicht ganz richtig trifft. Die Landschaft ist eher hügelig und erinnert mit den vielen Zypressen ein wenig an die Toskana. Sie ist viel abwechslungsreicher als wir uns sie vorgestellt hatten. Auf den Hügeln befinden sich die kleinen Orte und unsere Route nimmt viele von ihnen mit, wodurch einiges an Höhenmetern zusammen kommt, obwohl die Anstiege so kurz sind, dass sie im Höhenprofil der Karte kaum in Erscheinung treten. Der permanente Südwind, der uns entgegen bläst, tut ein Übriges, damit bei uns nicht das Gefühl aufkommt, wir wären auf einem Wellnesstrip. 

Die Berge haben sich im Nichts aufgelöst. Vor uns liegen die Weinanbaugebiete Venetiens.

Die Orte beeindrucken uns sehr. Wir haben oft das Gefühl, in einem alten italienischen Film unterwegs zu sein. Allein das obligatorische Kopfsteinpflaster rüttelt uns ordentlich durch und holt einen schnell wieder aus den Träumen zurück.

Typische Ortsdurchfahrt in Venetien

Ein stilprägendes Landschaftselement sind auch die vielen Weinstöcke. Waren wir in Deutschland lange auf der Radroute „Romantische Straße“ unterwegs, befahren wir nun die „Strada del Prosecco“. Ich finde, klingt deutlich sexyer… In diesem Zusammenhang muss ich an das Bild mit den Prosecco-Schnecken denken,  das in unserem Hotel in Dinkelsbühl hing .

Irgendwann nach etwa 80km wird die Gegend dann aber wirklich flach und auch ein bisschen langweilig. Wir sind auch schon ziemlich kaputt und nehmen das zum Anlass, unsere Radroute zu verlassen und über eine Landstraße den direkten Weg zu unserer schnuckeligen Pension am Rande der Altstadt von Treviso zu nehmen. Hier werden wir die letzte Nacht verbringen, bevor morgen das große Finale auf uns wartet.

Von Treviso nach Venedig 

Auf dem direkten Weg ist Treviso – Venedig schnell erledigt. Lediglich 38 km weist die Tour aus, die ich mit Komoot geplant habe. Wir entscheiden uns dennoch, der offiziellen Wegweisung zu folgen, auch wenn diese auf der Karte deutlich länger aussieht. Schließlich haben wir ja viel Zeit und es ist die letzte Etappe. 

Los geht es an der Stadtmauer von Treviso, einem Ort, der uns sehr fasziniert hat. Die Altstadt ist sehr atmosphärisch und kann diesbezüglich mit vielen weit bekannteren Orten Italiens locker mithalten. Touristen findet man hingegen kaum, dafür scheint in den Abendstunden die gesamte einheimische Bevölkerung von jung bis alt auf den Straßen zu sein und es sich bei Vino und Pasta gut gehen zu lassen. Wer die Möglichkeit hat, hier mal Station zu machen, sollte dies unbedingt tun!   

Schon bald merken wir, dass sich die italienischen Routenplaner mächtig ins Zeug gelegt haben, um die finale Etappe nochmal auszuschmücken. Wir fahren kreuz und quer, machen einen Schlenker nach dem anderen. Dafür ist der Weg auf den ersten 25 Kilometern fast komplett verkehrsfrei und sehr schön. Sie gibt uns einen kleinen Vorgeschmack auf Venedig, denn das Wasser ist unser ständiger Begleiter. Wir fahren an Flüssen, Kanälen, Seen, Teichen und allem entlang, was in irgendeiner Form nass ist. Wenn man einmal das Gefühl hat, man sei in weitem Abstand an einem Gewässer vorbeigefahren, macht der Radweg mit Sicherheit noch einen Schwenk und nimmt es doch noch mit. Beeindruckend ist die Landschaft aber allemal. 

Trotzdem: als wir nach 30km beim Blick auf die Karte sehen, wie wenig wir dem Ziel näher gekommen sind, packe ich mein Handy aus und wir fahren unsere eigene Route. Über wenig befahrene Landstraßen geht es geradlinig und schnörkellos Richtung Venedig. Irgendwann ist ja auch mal gut mit dem ganzen Sightseeing und Naturgedöns… Seit gut 2 Wochen sind wir unterwegs, jetzt ist das Ziel zum Greifen nah und wir wollen endlich ankommen!

Nach kurzer Zeit  kommen wir in Mestre an. Mestre ist die letzte Stadt auf dem Festland, bevor es über eine ca. 3 km lange Brücke  in die Lagunenstadt geht.In Mestre essen wir nochmal eine Kleinigkeit, denn Kerstin hat Hunger und ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass nur die entsprechende Nahrungszufuhr bei ihr einen entspannten Gesichtsausdruck auf dem späteren Zielfoto gewährleistet.

Wir verlassen die Altstadt und weiter geht es durch ein ödes Gewerbegebiet, das offensichtlich schon an den Hafen angrenzt.  Wir kommen durch Baustellen, bei denen wir die Räder noch einmal über Hindernisse wuchten müssen und schlängeln uns an abgestellten Lkw mit Containern vorbei. Es kann nicht mehr weit sein bis Venedig, aber diese Gegend passt so gar nicht zu unseren Vorstellungen von einem attraktiven Reiseziel!

Am Ziel!!!

Bald fahren wir in einem großen Bogen eine Rampe hinauf und sehen, dass diese in die lange Brücke nach Venedig mündet und sich ein unglaubliches Panorama vor uns auftut. 16 Tage waren wir unterwegs, sind vor der eigenen Haustür losgefahren, haben uns durch den Frankfurter Berufsverkehr gequält,  die unterschiedlichsten Städte und Naturräume durchfahren und während der gesamten Zeit hatten wir dieses Ziel im Kopf.

Jetzt kann ich es kaum fassen. Wir haben tatsächlich das Mittelmeer erreicht. Links und rechts das azurblaue Wasser der Adria und weit vor uns unverkennbar die Silhouette der Lagunenstadt. So müssen sich Tour de France-Fahrer fühlen, wenn sie nach 3 Wochen auf die Champs-Elysees einbiegen und den Triumphbogen vor Augen haben! Selbst wenn jetzt alle Reifen platzen und die Räder, die uns über all die Tage so treue Dienste erwiesen haben,  in tausend Stücke auseinanderfallen sollten und wir sie tragen müssten, werden wir unser Ziel erreichen.

Meine Augen werden feucht, aber bevor sich die erste Träne bilden kann, hat sie der heiße Fahrtwind schon getrocknet. Die Glücksgefühle lassen die Beine plötzlich wieder ganz leicht werden. All die Strapazen der letzten Tage sind vergessen und wir fliegen nur so dahin, magisch angezogen von dem Bild, das vor uns liegt.

Als wir am Ende der Brücke das Ortsschild „Venezia“ erreicht haben, halten wir an, steigen ab  und liegen uns in den Armen. Wir haben es geschafft. Nach 1.113km und gut 60 Stunden im Sattel haben wir unser Ziel erreicht.

Wir verbringen noch zwei herrliche Tage in Venedig und lassen dann auf der vorgelagerten Badeinsel Lido di Venezia die Tour ausklingen, wo wir immer wieder in den Erinnerungen an eine unvergessliche Radreise schwelgen.

Hier noch einige Impressionen von Venedig. Da die Sommerzeit in 2021 noch durch die Corona-Pandemie geprägt war, hielt sich der Andrang in erträglichen Grenzen.


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