Wenn wir bisher aufs Meer geschaut haben sahen wir die Taiwan-Straße und wussten, dahinter liegt China. Ab jetzt blicken wir auf den offenen Ozean, an dessen anderem Ufer Amerika liegt.
Vom Kenting-Nationalpark nach Dareng
Wie in einer anderen Welt!
Ich gebe zu, gestern hat mich Taiwan als Radreiseland noch nicht so ganz überzeugt. Der Verkehr und der damit verbundene Lärm hat uns doch ganz schön zugesetzt. Und auch heute beginnt der Tag nervig. Man hat mir meine Trinkflasche vom Rad geklaut, das ich im Guesthouse am Eingang abgestellt hatte. Im Verdacht haben wir die Backpacker, die ebenfalls dort übernachtet haben aber beweisen können wir es natürlich nicht.
Ausgerechnet heute, wo wir gezwungenermaßen unsere anstrengendste Etappe fahren. Über 80km und über 1000 Höhenmeter stehen bei der Hitze an. Gerne würden wir kürzer fahren aber laut Internet gibt es dazwischen keine Übernachtungsmöglichkeiten. Die Versorgungslage ist auch überschaubar. So nehme ich das Wasser in originalverpackten kleinen Flaschen mit und hoffe, unterwegs nachtanken zu können (was dann auch klappt).
Unsere anfangs noch schlechte Laune verfliegt im Nu, denn die Strecke ist einfach fantastisch. Im Südosten der Insel gibt es keine durchgängige Küstenstraße. Mehrmals müssen wir in die Berge. Dabei fahren wir durch üppige, dschungelartige Vegetation und werden neugierig von Affen beäugt.




Während gestern noch Motorenlärm in unseren Ohren klang, sind es jetzt oft fremdartige Geräusche, wie man sie aus Naturfilmen vom Amazonas kennt. Verkehr ist kaum unterwegs, hauptsächlich sind es Motorradfahrer auf der kurvenreichen Strecke oder Rennradfahrer. Fast alle grüßen und heben die Daumen, wenn sie uns mit den gepackten Rädern sehen. Das motiviert zusätzlich!
Zwischendurch gibt es auch Streckenabschnitte an der Küste, die einfach traumhaft schön sind. Immer wieder halten wir an, weil wir uns kaum sattsehen können.
Nach einem langen Anstieg, der sich ab Kilometer 48 fast 20 km zieht, werden wir mit einer entspannten Abfahrt bis zur Haustür unseres heutigen Guesthouses belohnt.
Obwohl der heutige Tag von der Entfernung und den Höhenmetern her deutlich anspruchsvoller war als die bisherigen, haben wir ihn nicht als so anstrengend empfunden, die abwechslungsreiche, wunderschöne Strecke hat uns einfach in ihren Bann gezogen.

Von Daren nach Taitung
Als wir am Morgen die Vorhänge zurückziehen, sind wir nicht gerade angenehm überrascht. Es regnet. Regen war eigentlich erst für morgen vorhergesagt. Die Wetterapp bestätigt das bereits Gesehene und macht auch nicht allzuviel Hoffnung für den Rest des Tages. Also Augen zu und durch!
In Taiwan nimmt man die Schuhe nicht mit ins Haus, stattdessen bekommt man Latschen ausgeliehen. Unsere Schuhe stehen vor der Tür als Regensammler. Etwas missmutig satteln wir die Räder und machen uns auf den Weg. Wenigstens ist es warm, aber dafür bläst ein kräftiger Wind direkt von vorn, so dass wir auf gerader Strecke kaum mehr als 16 km/h drauf bekommen.



Wir sind auch wieder an der Hauptstraße unterwegs, der Verkehr ist allerdings nicht so stark wie an der Westküste. Fast während der ganzen Fahrt haben wir einen schönen Blick auf den Pazifik. Bei gutem Wetter muss das herrlich sein aber auch heute, wo sich Gischt und Regen vermischen hat das was und wenn man erst einmal fährt, ist es auch gar nicht schlimm. Unsere Stimmung ist jedenfalls besser als das Wetter.
Nach der Hälfte der Strecke hört es dann doch noch auf zu regnen. Ortschaften sind hier rar gesäht, aber hin und wieder gibt es kleinere Siedlungen mit einem 711- oder Family Mart Laden. Diese Läden sind meist nicht groß, haben aber alles was man braucht. Oft gibt’s auch eine Toilette, man bekommt dort Kaffee und kann sich die im Laden gekauften Fertiggerichte gleich in der Mikrowelle warm machen lassen. Als wir vor einem solchen Laden sitzen, kommen wieder einige Leute vorbei, die uns mit „Welcome to Taiwan“ begrüßen. Keine Frage, willkommen fühlen wir uns hier immer. Die Taiwanesen sind einfach unheimlich nette und freundliche Menschen.
Nach ca. 65 km erreichen wir Taitung. Wir freuen uns, mal wieder in einer größeren Stadt (100tsd. Ew) zu übernachten. Die letzten beiden Nächte waren wir so „ab vom Schuss“, dass wir Schwierigkeiten hatten, was zu essen zu finden. Die einzigen „Restaurants“ waren von außen erst auf den 2. Blick als solche erkennbar. Man hätte sie auch für schlecht aufgeräumte Garagen halten können. Aber super lecker war es trotzdem immer 😋




Von Taitung nach Sanxiantai
Der Himmel ist bedeckt als wir am Morgen aufbrechen, aber noch ist es trocken. Am Stadtrand von Taitung passieren wir einen Militärflugplatz von dem minütlich unter ohrenbetäubendem Lärm Kampfjets in den Himmel starten und schnell hinter der grauen Wolkendecke verschwinden. Offensichtlich rüstet man sich hier für den Ernstfall.



Es weht ein strammer Wind von vorn und immer öfter lass ich mir von Kerstin mit ihrem E-Bike Windschatten geben. Trotz des Wetters ist die Stimmung gut, denn die Aussicht auf den Pazifik, die uns heute wieder fast den ganzen Tag begleitet, ist einfach toll. Zudem fahren wir zwar immer noch meistens an der Hauptstraße, doch der Verkehr hat deutlich nachgelassen. Man merkt, dass im Landesinneren parallel im Rift Valley noch eine zweite Verbindung besteht.
Auch wenn es hier keine verkehrsfreien Radrouten, vergleichbar den unsrigen gibt, merkt man trotzdem die Bemühungen der taiwanesischen Regierung, den Radtourismus zu fördern. Die Routen sind gut ausgeschildert und immer wieder sind „Bike Rest Stations“ ausgewiesen, an denen man seine Trinkwasservorräte auffüllen, die Toilette aufsuchen und zum Teil auch Pannendienst in Anspruch nehmen kann. Da die Ostküste dünn besiedelt ist, nehmen oft Polizeistationen diese Funktion wahr. „Die Polizei, dein Freund und Helfer“ wird hier wörtlich genommen.
Wir haben heute viel Zeit, nur knapp 60 km stehen auf dem Programm. Da wir in ersten 3 Tagen mehr gefahren sind als geplant, können wir es ab jetzt umso ruhiger angehen lassen. So nutzen wir bereits die erste Möglichkeit mit direktem Strandzugang für unser kleines Beach-Picknick.
Wieder werden wir von Taiwanesen freundlich und unaufdringlich angesprochen. Einer erzählt uns begeistert, dass er für seine Company schon in Hannover bei der CeBIT war. Er fragt, ob er uns fotografieren darf und anschließend holt er aus seinem Auto zwei dicke Tomaten, um sie uns zu schenken. Sicher kommt man mit diesem liebenswerten Menschenschlag auch sonst unschwer in Kontakt aber als Radler ist es noch viel leichter.



Nach einer Stunde Fahrt setzt leichter Sprühregen ein. Dem Wetterradar nach zu schließen, ist es ein eher kleines Regengebiet. Mit dem Nordostpassat nimmt die Luft Feuchtigkeit vom Meer auf. Wenn sie hier auf Land trifft und an den bis fast 4000m hohen Bergen aufsteigt, regnet es sich ab. Auf der anderen Seite der Berge, z.B. in Kaohsiung, sind es heute 27° und Sonne. Föhneffekt wie in den Alpen.
Bei uns hingegen wird es immer kühler und windiger. Dafür bietet die Brandung ein beeindruckendes Schauspiel und der Pazifik ist heute alles andere als ein „stiller Ozean“. Auf den letzten Kilometern wird es dann nochmal so richtig nass und wir sind wirklich froh, als wir unser Guesthouse erreichen und gleich unter die heiße Dusche springen können.



Wir sind heute wieder „ab vom Schuss“ und die Stimmung bekommt einen gehörigen Dämpfer, als wir anfangen, uns um die Nahrungsaufnahme zu bemühen. Die Internetrecherche lässt nichts Gutes vermuten. Die beiden Teenager, die uns beim Check-in empfangen haben, versuchen noch telefonisch etwas zu organisieren aber wir erkennen schon am Tonfall, dass es eher schlecht aussieht. Sie sprechen kaum Englisch und teilen uns über eine Sprach-App mit, dass es im Umkreis nichts gibt. Wir müssten dann wohl nochmal mit dem Bus los. Da es immer noch in Strömen regnet, für uns eine Horrorvorstellung!
Wir erkundigen uns nach einem Lieferservice – auch Fehlanzeige. Die beiden tauschen sich kurz aus und bieten dann an, selber für uns loszufahren und uns etwas zu organisieren. Eine gute Stunde später klopft es an der Tür und wir bekommen leckeres Rindfleisch mit Reis und Gemüse. Ein kleines Trinkgeld für’s Essen holen müssen dem Jungen fast noch aufdrängen. Was für ein Service!!!
Von Sanxiantai nach Fengbin
Schnitzel mit Pommes haben wir hier noch auf keiner Karte gefunden und dass uns das in unserem B&Bb ausgerechnet zum Frühstück serviert wird, haben wir echt nicht kommen sehen. Ist aber so. SchniPoSa mit Croissant, Joghurt und Ei!
So gestärkt geht es auf Tour aber so richtig will die Nahrungsbombe nicht zünden. Schon auf den ersten Metern merke ich, dass das nicht mein Tag wird. Die Beine sind schwer. Wir hatten uns endlich wieder auf Sonne gefreut aber die bleibt den ganzen Tag hinter einer dünnen Wolkendecke versteckt. Wenigstens regnet es nicht. Dafür ist es recht kühl, und den dritten Tag in Folge bläst ein strammer Gegenwind, der heute nochmal ordentlich zugelegt hat. Ich versuche, mich in Kerstins Windschatten zu verstecken – mit eher bescheidenem Erfolg.



Nach einer Stunde sind wir noch nicht mal 10 km weit gekommen, was aber auch daran liegt, dass wir immer wieder kurz anhalten, um die Aussicht zu genießen. Landschaftlich ist es der bisher schönste Küstenabschnitt. Fast die ganze Zeit hat man freien Blick auf den Pazifik. Manchmal laufen die Wellen an sanften Stränden aus, aber viel häufiger peitscht der Wind sie in die Felsen, wo sie in meterhohen Fontänen brechen.
Es gibt viele Plätze, an denen ich gerne länger bleiben würde, aber wir müssen weiter. „Hilft ja nix“, wie Kerstin immer sagt. Gestern musste ich sie ein wenig motivieren, heute revanchiert sie sich mit Aufbauarbeit. Das ist das Schönste, wenn man zu zweit unterwegs ist und sich gut versteht.



Bei km 40 passieren wir ein interessantes Monument. Es kennzeichnet den Wendekreis des Krebses, den Breitengrad, an dem die Sonne bei der Sommersonnenwende im Zenit steht. Geografisch sind wir ab jetzt nicht mehr in den Tropen, sondern den Subtropen unterwegs. Das Wetter lässt sich davon nicht beeindrucken, die Temperaturen fühlen sich heute eher nach Nordsee an.
Nach gefühlten 100 km (tatsächlich waren es gerade einmal 61) erreichen wir unser Hotel, duschen und stärken uns zum Tagesabschluss noch an einer der kleinen Garküchen im Örtchen.


