Lüneburg – Mölln – Sierksdorf – Fehmarn – Nysted
Von Adendorf nach Mölln
Nach ausgiebigem Frühstück mit den Schwiegereltern werden die Räder gecheckt und aufgesattelt. Ich freue mich, dass es jetzt zu zweit mit Kerstin weitergeht und eine kurze, entspannte Etappe ansteht, nur halb so lang, wie die der letzten Tage.
Ganz in der Nähe unseres Startpunkts liegt das Schiffshebewerk Scharnebeck, das bei seiner Errichtung in den 70ern mit einer Fallhöhe von 38m das größte der Welt war. Dort treffen wir auf den Elbe-Seiten-Kanal. Auf seinem Deich sind wir über 12km unterwegs. Der Wind schiebt uns sanft an, sodass wir schnell in einen Flow kommen. Immer schnurgerade mit Blick in die umliegenden Wiesen und Felder, bis wir bei Lauenburg an der Kanalmündung die Elbe erreichen. Über eine Brücke überqueren wir sie und haben einen fantastischen Blick auf die Altstadt.



Nach einem kurzen Stück an einer stark befahrenen Bundesstraße erreichen wir die nächste Wasserstraße, den Elbe-Lübeck-Kanal. Er ist deutlich kleiner und führt über weite Strecken durch Wälder, die als Naturschutzgebiete ihre natürliche Schönheit behalten haben. Anderen Menschen begegnen wir kaum. Hier lang zu radeln ist ein Genuss!

Schon recht früh am Nachmittag erreichen wir unser Hotel, ein wenig außerhalb Möllns direkt am See gelegen. Sehr schön, um den Tag ausklingen zu lassen. Einen Spaziergang in den alten Stadtkern der Till-Eulenspiegel-Stadt lassen wir uns dennoch nicht entgehen.

Wir erreichen die Ostsee – Von Mölln nach Sierksdorf
Es ist kühler geworden und der Wind hat deutlich aufgefrischt. Warm wird uns beim Radeln dennoch, denn Schleswig-Holstein ist hügeliger als man denkt. Klar, es gibt keine echten Berge hier, aber die Route führt uns sehr abwechslungsreich und kurvig in leichtem Auf und Ab durch Wälder und über Wiesen. Abseits der langen Flachetappen an Kanal und Küste kommen so immerhin 300 Höhenmeter zusammen, die belegen, dass die Eiszeiten mit ihren Moränenlandschaften hier deutliche Spuren hinterlassen haben.

Nach 10km erreichen wir wieder „unseren“ Elbe-Lübeck-Kanal, an dem wir uns gestern schon so wohl gefühlt hatten. Den zweiten Tag sind wir jetzt auf der Alten Salzstraße zwischen Lüneburg und Lübeck unterwegs, im Altertum eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung in Deutschland. In Lüneburg wurde das Salz abgebaut, das man in Lübeck für die Heringsverarbeitung brauchte. Für den Transport wurden schon im 14. Jahrhundert Kanäle angelegt und neben ihnen die Treidelpfade, auf denen die Gäule die Kähne mit Salz ziehen konnten. Aus ihnen wurden später Radwege, und einer dieser bringt uns nach 35km in die Hansestadt Lübeck.




Dort schieben wir die Räder durch die Altstadt und gönnen uns eine kleine Pause bei Latte und Cappuccino. Überhaupt lassen wir uns viel Zeit, ganz anders als auf meinen „Solo-Etappen“. Abgesehen von den kürzeren Distanzen machen Pausen zu zweit einfach mehr Spaß. Es folgt ein kurzer, weniger schöner Streckenabschnitt durch Gewerbegebiete, bevor es wieder ins Grüne geht und wir Kurs auf die Küste nehmen.
Dann am Timmendorfer Strand ist es es soweit: Wir erreichen die Ostsee! Ich bin seit einer Woche unterwegs und etwa 620 km gestrampelt. Nach einer so langen Strecke am Meer anzukommen und diese offene Weite vor sich zu haben, ist immer wieder ein erhebendes Gefühl. Den Rahmen hätte ich mir allerdings auch etwas anders vorstellen können. Timmendorfer Strand am Vatertag ist eben Timmendorfer Strand am Vatertag. Verglichen mit den oft fast menschenleeren Abschnitten der letzten Tage ein kleiner Kulturschock.


Nach kurzem Päuschen geht es weiter auf die letzten Kilometer nach Sierksdorf. Wir fahren auf der Uferpromenade Slalom zwischen Radlern, Fußgängern und jungen Männern, die vermutlich keine Väter sind, ihre Aussicht darauf, es irgendwann einmal werden zu können, aber schon mal ordentlich feiern.
Kurz vor Ankunft in unserer Bleibe dann der nächste Schock: Ich habe für die Nacht eine Ferienwohnung gebucht, von der es keine Außenaufnahmen gab. Auf den letzten Kilometern wird deutlich, warum. Vor uns liegt ein Hügel, an dessen Spitze sich mehrere fürchterliche Hochhäuser empor recken. Mich erinnern sie von weitem an den Ben-Gurion-Ring in Bonames, ein Problemviertel, das die Frankfurter auch „Golanhöhen“ nennen. Wir erreichen die Häuser und treffen uns dort mit der Verwalterin, einer sehr netten Frau. Mit gemischten Gefühlen steigen wir in den Aufzug und fahren in den 17. (!) Stock, die Räder nehmen wir sicherheitshalber mit. Wir betreten die Fewo und …Wow!!! Die Wohnung ist total schnuckelig eingerichtet und hinter den großen Glasfenstern und dem Balkon liegt uns gefühlt die halbe Ostsee zu Füßen.



Im Sturm auf der Brücke – Von Sierksdorf nach Fehmarn.

Aus dem Wind der vergangenen Tage ist ein veritabler Sturm geworden. Der DWD meldet Spitzen bis über 70 km/h, als wir am Morgen von unserer Unterkunft aus aufbrechen. Noch kommt der Wind aus Westen, d.h. eher von der Seite, aber es ist trotzdem sehr ungemütlich und auch anstrengend. Die Temperaturen sollen heute kaum über 12° steigen und es dauert auch nicht lange, bis sich erste Tropfen in den Wind mischen und uns einen kleinen Vorgeschmack dessen geben, was wir noch erwarten dürfen.



Die ersten 20km fahren wir auf und ab quer durchs Land, bis wir bei Grömitz an die Küste kommen. Den ersten großen Schauer haben wir schon abgepasst, indem wir uns rechtzeitig untergestellt haben. Ab Grömitz fahren wir auf dem Deich entlang Richtung NO, so dass der Wind sogar unterstützend wirkt. Die dunklen Wolken haben sich für den Moment verzogen und wir genießen den fantastischen Ausblick auf das Meer. Die nächsten Schauer nähern sich derweil in rasender Geschwindigkeit, es wird heftiger und es fällt uns immer schwerer, rechtzeitig Schutz zu finden.
Ich bin schon etwas genervt, als wir uns in der Nähe von Süssau gerade noch in ein Buswartehäuschen retten, bevor ein richtiges Unwetter auf uns hernieder geht. In dem Unterstand hat sich bereits ein Leidensgenosse in Sicherheit gebracht und wir kommen natürlich sofort ins Gespräch. Er ist eine echte Frohnatur und versprüht so gute Laune, dass man in dem Moment sogar dem Unwetter noch etwas Positives abgewinnen kann. Er ist in Dänemark gestartet und will über Lübeck an der Ostseeküste noch weiter bis Polen. Obwohl auch schon in meinem Alter, ist er mit Zelt unterwegs und hat wirklich alles auf dem Rad dabei, einschließlich Dosenravioli und einem Sixpack Bier. In der kurzen Zeit unseres Treffens haben wir viel Spaß zusammen. Wieder einmal zeigt sich, wie leicht man beim Radeln mit anderen Menschen in Kontakt kommt und welche Verbundenheit gerade mit “Leidensgenossen” in solch einer Situation schnell entsteht.
Bevor wir weiterfahren, warnt uns der Kollege noch vor der Fehmarnsundbrücke, die das Festland mit der Insel Fehmarn, unserem heutigen Ziel, verbindet. Sie bereitet uns auch schon Kopfzerbrechen. In den einschlägigen Foren kommt sie bei Radlern überhaupt nicht gut weg. Der Radweg ist schmal wie ein Handtuch, daneben läuft der Fern- inklusive Schwerlastverkehr. Da die Brücke über 20m hoch über der See verläuft, ist man dem Sturm besonders exponiert ausgesetzt.
Bevor wir die Brücke erreichen, erwischt uns der nächste Schauer, diesmal mit Hagel. Einer Einheimischen, der wir in unserem Unterstand begegnen, erzählen wir, dass wir noch über die Brücke müssen. „Keine gute Idee“ entgegnet sie und rät uns, das nochmal zu überdenken. Aber was soll man machen, wenn man auf der anderen Seite die Unterkunft gebucht hat?
Letztlich kommt es dann doch deutlich entspannter als befürchtet. Wir haben Glück, dass wir bei der Überquerung gerade einen Moment der Wetterberuhigung erwischen. Zudem staut sich der Verkehr, sodass die Situation relativ locker zu handhaben ist und der angedrohte Sog durch die vorbeifahrenden LKW unterbleibt. Wir können sogar die Brücke befahren, obwohl wir uns bei dem Sturm schon auf schieben eingestellt hatten.
Auf Fehmarn angekommen sind es kaum mehr als 5km bis zu unserer Unterkunft. Auf diesen wird uns aber noch einmal alles abverlangt. Es regnet und der Sturm bläst mittlerweile von vorne. In der Ebene sind kaum mehr als 10km/h drin. Da können selbst 5 Kilometer ganz schön lang werden.
Dafür erwartet uns im Ziel ein netter kleiner Bungalow und während Kerstin tapfer nochmal mit dem E-Bike losfährt, um unsere Versorgung zu sichern, bereite ich schon den Kaminofen vor und freue mich auf einen gemütlichen Abend.
Tschüss Deutschland – Hej Dänemark!
Von Neuhof (Fehmarn) nach Nysted (Lolland, Dänemark) .
Heute bleibt der Wecker aus und wir schlafen so lange wie möglich, denn die Tour ist relativ kurz. Als wir aufstehen, pfeift der Wind immer noch ordentlich um die Ecken, doch aus der grauen Suppe von gestern ist ein freundlicher Sonne-Wolken-Mix geworden. Zudem gibt der Wetterbericht Hoffnung, heute trockenen Fußes am Zielort ankommen zu können. So steigen wir gut gelaunt und optimistisch auf die Bikes, um die Insel Fehmarn zu durchqueren, an deren südlicher Küste wir uns noch befinden.
Los geht es Richtung Norden und oft genug haben wir Schwierigkeiten, die Spur zu halten, denn der Sturm aus West setzt uns ordentlich zu. Das Fluchen habe ich mir aber mittlerweile abgewöhnt und versuche diese Art von Widrigkeiten als norddeutsches Goodie anzusehen, in dessen Genuss nicht jeder kommt. Nach nicht einmal einer Stunde haben wir unser vorläufiges Ziel erreicht. Wir stehen am Fehmarnbelt, genauer gesagt am Hafen von Puttgarden, von wo aus uns die Fähre in 45 Minuten nach Rødby in Dänemark bringen soll. Ich denke daran, dass wir erst vor einem dreiviertel Jahr von Eschborn nach Venedig geradelt sind und ich jetzt – beide Touren zusammengenommen – einmal Deutschland in Nord-Süd-Richtung (und noch mehr) durchquert habe.



Von Rødby bis Kopenhagen sind es auf direktem Weg kaum 200km, was mit ein bisschen sportlerischem Ehrgeiz in 2 Tagen zu bewältigen wäre. Wir nehmen uns fast 5 Tage Zeit, denn wir haben es nicht eilig und wollen so viel wie möglich von der Küste mitbekommen. Das bedeutet, dass wir nicht Kurs Nord nehmen und mitten durch das Land fahren, sondern erst einmal Richtung Ostküste.
Dafür haben wir uns das richtige Wetter ausgesucht, denn der Rückenwind ist eine wahre Pracht. Ohne viel treten zu müssen, fliegen wir die meiste Zeit nur so durch die weitgehend menschenleere Landschaft. Hinzu kommt die perfekte Fahrradinfrastruktur. Entweder sind wir auf gut ausgebauten Radwegen unterwegs oder auf Landstraßen fast ohne Verkehr. Zudem sind die dänischen Autofahrer sehr rücksichtsvoll gegenüber Radlern. Überholt wird langsam und mit viel Abstand – ganz anders als in Deutschland.
So dauert es nicht lange, bis wir unser heutiges Ziel erreicht haben. Nysted auf Lolland ist positiv ausgedrückt ein sehr netter, kleiner beschaulicher Ort. Man könnte auch sagen, ein verschlafenes Nest.


