Marina di Massa – Altopascio – San Gimignano – Sienna – Bagno Vignoni
Raus aus dem Trubel! – Von Marina di Massa nach Altopascio
Nach einem Tag exzessiven Nichtstuns, der sehr viel schöner verlief als erwartet, steht unsere nächste Radetappe an. Es geht in Richtung Herz der Toskana. Und würde das alleine als Motivation noch nicht ausreichen, so tut die Situation rund um Marina di Massa ihr Übriges. Es ist Samstag und die Hölle los. Ganz Italien scheint heute Baden gehen zu wollen. Die Straßen sind voll und auch auf dem durchaus breiten Radweg, der parallel zum Strand verläuft, können wir zwischen Fußgängern, anderen Radfahrern und querenden Autos nur Slalom fahren und kommen kaum voran. Zudem ist es sehr stressig.
Das ändert sich erst, als wir uns von der Küste entfernen und nach 15 km das idyllische Örtchen Pietrasanta erreichen. Wir genießen die Atmosphäre, nehmen uns Zeit und schieben unsere Räder durch die kleine Altstadt.


Nach weiteren 10 km geht es in die Berge. 2 ordentliche Anstiege stehen an. Zwar kommen wir heute kaum auf über 200 m Seehöhe, aber es fühlt sich viel höher an. Vielleicht liegt es daran, dass es immer wieder auf kleinen Sträßchen über enge Serpentinen geht. Es sind auch eine Menge Italiener auf ihren Rennrädern unterwegs und man spürt stets die Radsportbegeisterung dieser Nation. So kommt richtig „Giro-Stimmung“ auf.
Tolle Landschaft, herrliche Ausblicke und immer wieder kleine, hübsche Örtchen auf den toskanischen Hügeln. Dazu die typischen Zypressen am Wegrand: Das ist das Italien, das wir lieben!



Wenn wir bisher eines auf dieser Tour gelernt haben, dann dass es immer am schönsten wird, wenn man die Ebene verlässt. Das war so, als wir vom Oberrheingraben in den Schwarzwald fuhren, vom Oberrhein in die Alpen, von der Poebene ins Apennin und jetzt, da wir uns von der Küste wegbewegen, ist es wieder so. Bisher hat sich jeder Höhenmeter gelohnt und daran ändert auch das zugegebenermaßen zeitweilige Fluchen bei den Anstiegen nichts .
Bald kommen wir jedoch erstmal wieder in die Ebene und erreichen den Ort Lucca, in dem wir durch ein Tor der noch immer vorhandenen Stadtmauer fahren. In der schönen Altstadt machen wir eine ausgedehnte Pause und stärken uns in einem Café. Das können wir auch gut gebrauchen, denn auf den letzten Kilometern bläst uns ein Wind wie aus einem Heißluftgebläse frontal entgegen. Auch wenn’s zum Schluss nochmal zäh wird, blicken wir auf einen sehr abwechslungsreichen und schönen Tourentag zurück.
Mit letzter Kraft – Von Altopascio nach San Gimignano
Als ich gestern ein paar WhatsApps an Freunde verschickte, habe ich erwähnt, dass ab jetzt die Etappen kürzer werden und öfter „Dolce Vita“ angesagt ist. Was sollte da heute schon groß kommen, bei mageren 64 km? Klar, die Höhenmeter läppern sich zusammen in der hügeligen Toskana, aber wir haben ja schließlich schon echte Gebirge hinter uns. Also alles kein Problem? Denkste! Um es vorwegzunehmen: an keinem anderen Tag der bisherigen Tour habe ich so gelitten. Zwischendurch war ich so platt, dass man mich mit Hut unter der Tür hätte durchschieben können!
Dabei fängt alles ganz harmlos an. Auf kleinen Straßen, die am Sonntagmorgen fast menschenleer sind, cruisen wir durch die wellige Landschaft. Dabei bekommen wir schon einen kleinen Vorgeschmack auf das, was da noch auf uns zukommt. Hoch-runter-hoch-runter, nie viele Höhenmeter am Stück, eher ein wenig wie in der Achterbahn.



Nach 25 km dann der erste knackige Aufstieg nach San Miniato. Kaum mehr als 100 Hm am Stück, aber auf dem Höhenprofil sah es aus, als würde man eine Wand hochfahren und so fühlt es sich jetzt auch an. Oben wieder einige km Achterbahn, bevor es so steil wieder runter geht, dass man gefühlt kaum schneller ist als bergauf.
Dafür ist die Landschaft ein Traum! Die Toskana von ihrer schönsten Seite und mit das Beste, was wir auf der bisherigen Tour zu sehen bekommen haben. Zypressenalleen, die auf Hügel führen, auf denen kleine mittelalterliche Städtchen stehen, wie eben dieses San Miniato. Dabei immer wieder fantastische Fernblicke auf Panoramen, die keine Kamera einzufangen vermag.



Wir sind begeistert von diesem Tag fast bis zum Schluss. Fast… Das fiese ist nämlich, dass die heftigste Steigung die letzten 10km vor Ende der Tour sind. Schon bevor wir dort angelangt sind, werden wir wieder auf einen Trail geführt, auf dem man schon in der Ebene kaum vorankommt und einmal sogar einen kleinen Bach durchqueren muss. Danach geht es im unwegsamen Terrain steil bergauf. Ich muss schieben und rutsche mit den Radschuhen auf dem Geröll immer wieder weg. Zum Glück ist der Spuk bald vorbei und wir gelangen wieder auf die Straße.
Weiter geht es steil bergauf. So steil, dass ich auf der Straße meine eigenen Serpentinen fahre, zum Glück ist so gut wie kein Verkehr. Gestern hatte ich vermutlich einen Sonnenstich, als ich schrieb, dass sich jeder Höhenmeter lohnt. In den Bergen war es wenigstens schön kühl, aber hier ist es einfach brutal heiß. Insgesamt brauchen wir für 10 km fast 2 Stunden und für die Schönheiten der Toskana habe ich schon lange keinen Blick mehr.
Auch Kerstin hat einen harten Tag. Es ist auch für sie sehr anstrengend, aber mit dem E-Bike ist sie viel schneller als ich und muss ständig warten. Steht sie in der Sonne, brät es ihr das Hirn weg, steht sie im Schatten, wird sie von irgendwelchen Viechern gestochen. Zudem ist sie etwas angespannt, weil wir gestern den Akku nicht nachgeladen haben und ihre Kiste mit dem ganzen Gepäck fast so schwer wie ein Sattelschlepper ist. Nicht auszudenken, wenn gerade an den heftigsten Steigungen und in der Gluthitze der Saft ausgehen sollte….
Die Stimmung ändert sich schlagartig, als wir wenige km vor dem Ziel auf einem Hügel stehen und die umwerfende Silhouette von San Gimignano, dem „Manhattan des Mittelalters“ und heutigen Übernachtungsort, sehen. Das und der Gedanke an ein großes Eis setzen noch einmal alle letzten Kräfte frei.

Kurze Zeit später sitzen wir selig vor einem Eiscafe. Knapp 900 Höhenmeter sind heute zusammengekommen, mehr als bei mancher Bergetappe. Kerstins Ladeanzeige zeigt eine Restreichweite von einem Kilometer. Meine gefühlte Restreichweite beträgt 0,5. Gerade genug für den Weg zur Pension.



Morgen ist eine leichte Tour mit viel Dolce Vita angesagt. Jetzt aber wirklich!!!
Im Herzen der Toskana – Von San Gimignano nach Siena
In aller Ruhe frühstücken wir in der schönsten und liebenswertesten Unterkunft, die wir bisher hatten. Wir sitzen im Garten, genießen das opulente Mahl und den fantastischen Blick auf San Gimignano, während sich Francesca um uns kümmert, als wären wir seit Jahren die besten Freunde. Ihr Vater Mauro, der weder deutsch noch englisch spricht, ist sehr beeindruckt von unserer Tour und erzählt uns begeistert von Giro d’Italia und Tour de France. Wir verstehen ihn nicht, er uns auch nicht, aber wir haben eine sehr nette und lustige Unterhaltung.

Die heutige Tour ist kurz und der Bericht wird es auch. Abwechslungsreich geht es durch die wunderschöne, toskanische Landschaft, mal auf Straßen und mal auf Schotterwegen. Gemeinsam ist beiden nur, dass es gefühlt in Gluthitze ständig bergauf geht. Aber das kennen wir ja schon.
Dafür ist die Gesamtdistanz bei knapp 40 km und 600 Hm wirklich überschaubar. Zwischendurch machen wir noch Pause in dem schönen Castel Monteriggioni, an dessen steiler Auffahrt ich noch angefeuert werde. „Senza motore, bravo!“. Ja, ich bin ohne Motor unterwegs und freue mich über Motivation jeglicher Art



Nach gerade einmal 3 Stunden erreichen wir schon unseren Zielort Siena. Die kurze Tagesetappe ergibt sich aus der hohen Dichte an „Must Sees“ in dieser Gegend. Sowohl in San Gimignano als auch in Siena wollten wir nicht nur durchfahren, sondern auch Zeit verbringen.
Dazu haben wir jetzt Gelegenheit. Zunächst führt uns der Weg natürlich zum Dom und anschließend zum Piazza del Campo. Auf diesem zentralen Platz in der Altstadt von Siena laufen gerade die Vorbereitungen für den Palio di Siena, eines der härtesten Pferderennen der Welt.



Die Rennbahn ist ein ca. 300 m langer Rundkurs auf dem äußeren Ring der Piazza del Campo. Auf diesen Ring wird gerade ein spezieller Belag, eine Mischung aus Tuff und Sandin, aufgebracht und festgestampft, damit die Pferdehufe Halt finden. Beim Rennen werden die Pferde ohne Sattel geritten. Gegenseitige Behinderungen sind zulässig, einschließlich des Einsatzes des Ochsenziemers und oft reißen sich die Konkurrenten auch gegenseitig vom Pferd.
Gewinner ist folgerichtig nicht der Reiter sondern das Pferd, welches als erstes die Ziellinie überquert. Der Reiter muss nicht notwendigerweise ins Ziel kommen.

Ich hingegen würde schon ganz gerne mit meinem Drahtesel in Rom ankommen. Aber bis dahin sind es noch ein paar Tage. Heute ist erst einmal Entspannung angesagt und wir freuen uns schon auf ein gemeinsames Abendessen mit Freunden, die auch gerade in der Gegend sind.
Ein Abend mit Spa – Von Siena nach Bagno Vignoni
Es ist spät geworden gestern. Bei dem Abendessen mit unseren Freunden Gabi und Frank auf dem Piazza del Campo ist die Zeit so schnell vergangen, dass es fast Mitternacht wurde, bis wir im Bett lagen. In den Vierteln Sienas feiern die Einheimischen bereits jetzt den am Wochenende anstehenden Palio und in unserer Nachbarschaft wurde bis halb drei morgens gesungen.
So kam es, dass wir heute zum ersten Mal etwas unmotiviert auf die Räder steigen. Es locken auch keine großen Namen oder bekannte Sightseeings mehr auf der Strecke und als ich bei der Ausfahrt von Siena ein Straßenschild mit „Rom 215 km“ sehe, denke ich kurz „wenn wir jetzt – Augen zu und durch – den kürzesten Weg über die Landstraßen nehmen würden, wären wir in 2 Tagen da“. Aber was wollen wir bei der Hitze so lange in Rom? Unsere Fahrradreservierung im Zug haben wir ja erst nächsten Dienstag.
Also dann doch lieber noch ein paar Schlenker mehr und die Landschaft genießen. Um es vorwegzunehmen: für heute war das auf jeden Fall die richtige Entscheidung, denn wir haben wieder eine Perle gefunden
Die ersten 32 km sind wir fast ausschließlich auf mehr oder weniger stark befahrenen Straßen unterwegs, was uns nicht wirklich begeistert. Aber ab da geht es weiter auf Schotterpisten, wobei auf den letzten 20 km noch 600 der heute knapp 800 Höhenmeter abzuleisten sind. Es ist hölle anstrengend in dieser Hitze, entschädigt werden wir wieder einmal mit einer Wahnsinns-Kulisse. Toskana at it’s best. Man weiß gar nicht, wohin man schauen soll! Keine langen Worte, wir lassen die Bilder sprechen…



Unser persönliches Highlight ist aber wieder einmal der Zielort. Bagno Vignoni – schon mal gehört? Wir auch nicht, jedenfalls nicht vor unserer Tourenplanung. Der Ort besteht eigentlich nur aus einer Thermalquelle, in der es sich die Medicis schon haben gut gehen lassen. Sie wurde eingefasst und sieht mitten im Ort aus, wie ein großes Schwimmbad. Das Ganze ist eingerahmt von ein paar schnuckeligen Hotels und Restaurants. Es geht hier sehr relaxed zu, ganz anders als in dem quirligen Siena. Einige Pilger, die wie wir auf der Via Francigena unterwegs sind, machen auch hier Station. Dazu noch Touris die einfach entspannen wollen. Unser Hotel hat, wie einige andere auch, einen tollen Spa-Bereich. Wir verbringen den Nachmittag in sprudelnden Wasserbecken und erholen uns im Thermalquellenwasservon den Strapazen. So kann man es aushalten!
