Menaggio – Vaprio d’Adda – Piacenca – Parma – Berceto – Marina di Massa
Entlang Comer See und Adda – Von Menaggio nach Vaprio d’Adda
Wenn man eine Radtour von Frankfurt nach Rom plant, denkt man intuitiv, dass man beim Erreichen Italiens schon den größten Teil der Strecke hinter sich hat. Das ist ganz normal, da das menschliche Gehirn die unmittelbare, bekannte Umgebung großmaßstäblich skaliert, während die Distanzen subjektiv immer mehr zusammendrücken, je weiter sie entfernt sind.
Wir sind jetzt schon an unserer dritten Übernachtungsstätte in Italien und haben immer noch nicht die Hälfte der Gesamtstrecke hinter uns. Italien zieht sich und das ist gut so!
Mit dieser Gewissheit und der Hoffnung, dass noch viele schöne Erlebnisse vor uns liegen, starten wir in den Tag, auch wenn gerade heute ein spezielles Problem angegangen werden muss: Auf unserem Weg nach Süden am Lago entlang erwartet uns am heutigen Sonntag viel Verkehr auf teils engen Straßen. Zudem führt die Strecke durch 2 recht lange Tunnel. Zumindest diese wollen wir uns nicht antun. Wir fahren also von Bellagio, das wir mit der Fähre erreichen, zunächst an der Küstenstraße entlang, bis wir nach etwa 15 km im Ort Onno den Anleger ansteuern. In einem Café warten wir bei leckerem Apfelstrudel und Cappuccino auf das Schiff, das uns nach Lecco am Ende des südöstlichen Arms des Comer Sees bringt. So können wir beiden Tunnel ausweichen.



Danach geht es zunächst immer noch etwas stressig weiter. Im Übergang des Sees zum Fluss Adda sind wir auf kombinierten Geh-/Radwegen unterwegs. Mailand und Bergamo sind keine Autostunde entfernt und heute am Sonntag scheint es alle Italiener hinaus in die Natur zu ziehen. Da kann es schon mal eng werden.
Erst mit dem Auslaufen des Flusses aus dem See ändert sich das Bild und damit auch die Stimmung. Am Ufer der Adda fahren wir auf ruhigen Schotterwegen durch üppige Vegetation. Die großen Bäume spenden Schatten, wir „kommen langsam runter“ und können beim Fahren endlich wieder die Seele baumeln lassen.



Über 30 km folgen wir dem Fluss und was sehr ruhig beginnt, wird dann auch noch richtig spektakulär. Nahe dem Ort Paderno d‘ Adda trennt eine große Schleuse die Adda in einen Kanal und den ursprünglichen Fluss und der Radweg führt über mehrere Kilometer über einen Damm mitten durch. Rechts der Kanal, links in der Schlucht der tosenden Fluss. Dieser Radweg gehört sicher zu den absoluten Highlights der bisherigen Tour.



Perfekt wird das Ganze noch durch ein uriges Gartenlokal am Wegrand, bei dem wir natürlich noch einkehren. Von den Betreibern dieser Wirtschaft spricht niemand deutsch oder englisch, lediglich eine Italienerin unter den Gästen hilft beim Übersetzen. Unter den Gästen herrscht eine ausgelassene Stimmung und obwohl wir kein Wort verstehen, ist die Fröhlichkeit ansteckend. Frisch gestärkt machen wir uns auf die letzten Kilometer zu unserer kleinen Pension.

In die Poebene – Von Vaprio d’Adda nach Piacenza
Zunächst noch ein Nachtrag zu unserer gestrigen Pension, ein sehr schönes, altes Haus, auf dem Stadthügel gelegen, mit Blick auf die Adda. Der Besitzer ist ein wohlbeleibter, gut gelaunter pensionierter Radiologe, der die Pension wohl eher als Hobby betreibt. Seinen kleinen, weißen Hund hat er nach einer radiologischen Diagnoseform benannt und auf der wunderschönen Veranda erfreuten sich neben vielen Zierpflanzen auch ein paar Hanfgewächse seines grünen Daumens. Schon schräg, was man auf Reisen so erlebt.
Apropos reisen, das stand natürlich heute auch an und zwar mal wieder eine längere Etappe. Wir planen unsere Touren immer so, dass wir am Anfang, in bekannter Umgebung eher längere Etappen machen, um dann in den weniger bekannten, wie z.B Toskana mehr Zeit für Dolce Vita zu haben. Auch in den Gegenden, von denen wir uns eher weniger versprechen, versuchen wir, schnell voranzukommen. Die Poebene, die wir in den nächsten 2 Tagen durchqueren, zählen wir dazu. Landschaftlich ist es wohl eher nicht der Brüller, dafür freuen wir uns auf die Übernachtungsorte Piacenza und Parma.



So starten wir in den Tag und fahren zunächst wieder an der uns mittlerweile sehr vertrauten Adda entlang. Die Berge der auslaufenden Alpen, die uns den größten Teil des gestrigen Tages noch begleitet haben, lösen sich im Nichts auf und es wird klar, dass wir in der Poebene angekommen sind. Die Landschaft wird oft als sehr eintönig beschrieben, was ich so gar nicht bestätigen möchte. Sie ist sehr grün, was sicherlich auch den intensiven Regenfällen der letzten Wochen geschuldet ist. Vermutlich ist das für den Sommer kein typischer Anblick, genauso wenig wie die gut gefüllten Flüsse und oft noch tiefen Pfützen auf schattigen Wegen, obwohl es schon seit Tagen heiß und trocken ist.
Don Camillo und Pepone spielt angeblich in einem Örtchen der Poebene und man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Natur im Sommer sonst hier aussieht.
Wir genießen die heutige Etappe, zumindest auf der ersten Hälfte. Es ist eine Wohltat, nach dem Gewusel der letzten Tage ganz entspannt und abseits jeglichen Trubels dahin rollen zu können.
Im Laufe des Tages setzt uns die Hitze allerdings immer mehr zu. Der Asphalt flimmert, das Thermometer zeigt 34 Grad. Der Fahrtwind kühlt nur noch im Schatten ein wenig, doch den finden wir so gut wie nicht mehr. Ansonsten fühlt es sich an, als ob uns jemand einen Fön ins Gesicht halten würde. In immer kürzeren Abständen halten wir für eine Trinkpause an und ich bin froh, vor Beginn der Tour die Flaschenhalter noch ausgetauscht zu haben, sodass ich zwei 1-Liter-Flaschen mitführen kann.
Größere Pausen machen wir nicht, was auch daran liegt, dass die wenigen Orte, durch die wir kommen, in der Mittagshitze wie ausgestorben sind.
Zwischendurch machen wir noch eine Erfahrung der besonderen Art. Wir sind auf der Via Francigena angelangt, einem alten Pilgerweg, der bis auf den Petersplatz führt. An ihm orientieren wir uns von jetzt an zumindest grob und geraten prompt auf einen Handtuch breiten Pfad, der immer enger wird und irgendwann komplett zugewachsen ist. Wir kämpfen uns da durch, werden von den Seiten von Nesseln und Dorngestrüpp traktiert und aus allen Richtungen von tausenden Insekten. Noch Stunden später habe ich lauter Quaddeln an den Armen und keine Ahnung, ob es vom Viehzeug oder den Nesseln kommt. Kerstin ist eh schon total verstochen.
Zum Glück finden wir bald wieder auf die Straße zurück. Nach 65 km sind wir am Uferdamm des Pos angelangt, froh und auch ein wenig stolz, wieder einen bedeutenden Meilenstein auf dem Weg nach Süden erreicht zu haben.



Bald darauf überqueren wir den Fluss und damit die Grenze zwischen der Lombardei und der Emilia Romagna. Hinter der Brücke erwartet uns Piacenza, ein wunderbares Städtchen und zur Belohnung ein Eiscafe auf der dortigen Piazza.
Don Camillo lässt grüßen – Von Piacenza nach Parma
Die Ausfahrt aus Piacenza ist so, wie man sie sich nicht wünscht, aber immer wieder in den Städten vorkommt: Kilometerlange Ausfallstraßen durch öde Gewerbegebiete mit viel Schwerverkehr. 20 km braucht es, bis wir auf ruhigere Wege treffen.
Ab da wechseln sich kleine Nebenstraßen mit staubigen Schotterwegen ab. Die Landschaft ist flach wie ein Handkäs und von Landwirtschaft geprägt, immer wieder fahren wir an Maisfeldern entlang. Man kann nicht behaupten, dass hier ein Highlight das andere jagt.
Die Sonne brutzelt wieder vom Firmament. Gestern habe ich mir beim Discounter noch ein ärmelloses Baumwollleibchen geholt. Das einzige ärmellose Teil, das ich mit hatte, war ein eng sitzendes aus Nylon. Darin fühlte ich mich bei der Hitze wie eine Presswurst im Naturdarm. Jetzt genieße ich es, wie der Wind durch das Shirt streicht. Es sind die kleinen Dinge, an denen wir uns heute erfreuen (müssen).
Oder doch nicht? Am Nachmittag erreichen wir Parma und stürzen uns gleich mal in die sehenswerte Altstadt. Die Besichtigung des Doms beeindruckt. Wie man es vor fast 1000 Jahren mit den damals vorhandenen technischen Möglichkeiten geschafft hat, solch monumentale Bauten zu errichten, wird mir immer ein Rätsel bleiben.




Aber nicht nur die Altstadt ist etwas Besonderes. Parma und Umgebung sind auch die Heimat von Parmaschinken und Parmesankäse. Wir sind hier in der – wie manche sagen – heimlichen kulinarischen Hauptstadt Italiens. Grund genug, um in einem der netten Restaurants ordentlich zuzuschlagen. Die Stärkung können wir gut gebrauchen, denn morgen steht vielleicht die schwerste Etappe auf dieser Tour an. Es geht hinauf ins Apennin und dabei sind fast 1200 Höhenmeter in knalliger Hitze zu meistern.
Ein echtes Highlight im Apennin – Von Parma nach Berceto
Ich gebe zu: In den letzten Tagen hat unsere Begeisterung an der Radtour etwas gelitten. Der Trubel am Comer See und auch die beiden heißen Tage in der Poebene haben uns geerdet und die Euphorie etwas gedämpft. Gestern in Parma waren wir so groggy, dass wir die Stadt gar nicht mehr richtig genießen konnten und ich schon ein bisschen Bammel vor der heutigen Bergetappe hatte. Es musste einfach mal wieder ein Highlight her und – um es gleich vorwegzunehmen – das hatten wir heute!
Den Apennin vor Augen verlassen wir Parma bei 27° am Morgen. Zudem ist es schwüler als in den letzten Tagen. 6 Liter Wasser haben wir dabei, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, denn wir haben uns eine Strecke mit nur einigen kleinen Ortschaften unterwegs ausgesucht und entsprechend unklarer Versorgungslage.
Die Strada Provinziale 15 führt immer leicht bergauf, so dass man es kaum sieht, aber doch ordentlich ausgebremst wird. So geht es 30 km lang. Es wird immer grüner. Der Wald links und rechts der Strecke sowie die ersten 200 gewonnenen Höhenmeter wirken sich schon sehr angenehm auf die Temperatur aus.
Das Streckenprofil weist die größte Steigung zwischen km 30 und 45 aus. Ich schätze, dass ich für die 15km fast 2 Stunden brauche und wir beschließen, vorher nochmal ein Päuschen zu machen, um Cappuccino und Wasser nachzutanken.
In dem kleinen Örtchen Calestano ist gerade ein noch kleinerer Markt. Wir setzen uns auf die Eingangstreppe einer benachbarten Taverne, wo uns der Wirt freundlich bedient und schauen dem bunten Treiben zu. Als wir wieder aufbrechen wollen, grüßt uns ein Einheimischer lachend mit kurbelnden Handbewegungen und wünscht uns einen „Bon Giro“.




Frisch gestärkt und mit diesen Wünschen ausgestattet, kann nun wirklich nichts mehr schiefgehen. Und tatsächlich, je steiler es wird, desto aufregender wird auch die Landschaft. Immer wieder blicken wir in die Schlucht entlang der Strecke, während die Straße sich den Berg entlang schlängelt. Ich finde schnell meinen Rhythmus. Langsam aber kontinuierlich machen wir Höhenmeter auf Höhenmeter und trotz der Anstrengung grinse ich selig vor mich hin. Es läuft viel besser als erwartet. Auch Kerstin hat richtig Spaß an der Tour, immer wieder tauschen wir uns aus. Es ist wunderschön, solche Eindrücke mit der Partnerin teilen zu können.
Bereits am frühen Nachmittag erreichen wir Berceto, auf über 800m mitten im Apennin gelegen. Das 2000-Seelendörfchen ist wieder eines dieser Perlen, die wir gefunden haben, ohne dass wir sie gesucht hätten. Während ich diese Zeilen tippe, sitzen wir zwischen lauter Einheimischen in einer Trattoria auf dem Dorfplatz und lassen diesen herrlichen Radtag noch einmal Revue passieren.



Der gruseligste Ort der Tour – Von Berceto nach Marina di Massa
Ein Tag, der uns mit voller Wucht vorführt, wie gegensätzlich Urlaub in Italien doch sein kann!
Am Morgen verlassen wir unsere „Perle“ Berceto und machen uns auf den Weg zum Passo di Cisa. Gut 200 Höhenmeter müssen wir uns noch auf der kaum befahrenen Bundesstraße erstrampeln, bis wir auf 1041m die Passhöhe erreichen , wo wir uns von der Emilia Romagna verabschieden und voller Neugier und Vorfreude die Toskana betreten.


Kurz nach der Passhöhe verlassen wir die Hauptstraße und folgen einer kleinen asphaltierten Straße hinab ins Tal. Über einige Kilometer hinweg treffen wir keine Menschenseele und haben immer wieder fantastische Ausblicke. Wir genießen sie, müssen uns aber trotzdem auch auf die Straße konzentrieren, denn sie ist eng und gespickt mit scharfen Kurven.
Nach einem kurzen Stück auf der Hauptstraße verlassen wir diese wieder und biegen in den Ort Pontremoli ein, eigentlich nur, um einen Tunnel zu umfahren. Der Ort selbst sagte uns bisher nichts. Umso erstaunter sind wir bei dessen Durchfahrt. Es scheint, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Einen so schönen Ort haben wir selten gesehen. Später machen wir noch einmal eine solche Erfahrung in einem kleineren Ort.



Zu dem Zeitpunkt sind wir noch der Auffassung, dass es wieder ein herrlicher Radtag wird, aber leider müssen wir unsere Erwartung deutlich runterschrauben…
Immer wieder fahren wir heute auf der Bundesstraße 62, was im oberen Teil rund um den Passo Cisa auch kein Problem ist. Je weiter wir aber Richtung Küste kommen, desto stärker wird der Verkehr. Zudem wird es immer heißer. Zwar sind wir heute überwiegend bergab gefahren, haben aber dennoch durch die Anstiege zwischendurch über 700 Höhenmeter gemacht. Auch das macht sich langsam bemerkbar.
Als wir endlich die Bundesstraße mit dem Schwerlastverkehr verlassen, werden wir prompt in das andere Extrem geführt: Ein kilometerlanger Singeltrail durch Schilf und Schlammlöcher, der manchen Dschungelcampkandidaten zur Meuterei getrieben hätte.
Immerhin gibt dies einen Hinweis darauf, dass wir uns schon nah am Meer befinden. Und tatsächlich: fast exakt mit dem km 1000 unserer Tour erreichen wir die Küste des ligurischen Meeres.
Eigentlich ein Grund zur Freude, aber was wir hier sehen ist so hässlich wie die Nacht! Mann oh Mann, wie kann man eine schöne Küste nur so verschandeln?



Im Hotel angekommen, bringen wir die Klamotten aufs Zimmer und wollen natürlich so schnell wie möglich ins kühle Nass. Aber zunächst müssen wir dem Hotelmanagement erklären, dass wir keinesfalls bereit sind, um 17:30 für einen kurzen Badespaß am hoteleigenen Kiesstrand 30€ für den Sonneschirm zu berappen. Ohne diese Tagesmiete geht hier nämlich nichts. Sie lassen sich erweichen, als wir versprechen, nur auf den Steinen zu sitzen und bloß keine Klamotten auf den Liegen abzulegen (obwohl zu dieser Zeit fast kein Hotelgäste mehr am Strand ist).
Wir haben in Italien schon die ein oder andere „Marina“ oder „Lido“ gesehen und hatten deshalb ohnehin geringe Erwartungen. Aber den Kulturschock müssen wir erst mal verdauen.
Bisher haben wir auf der Tour kaum Alkohol getrunken, aus der Befürchtung heraus, am nächsten Tag nicht fit genug zu sein. Morgen haben wir einen Ruhetag als Badetag am Meer geplant. Manchmal kann man sich Dinge auch schöntrinken. Ich bin gerade dabei…
Entspannung – Alles halb so wild!
Ausgeschlafen und regeneriert sieht am Tag drauf die Welt schon wieder anders aus. Der Frust von gestern ist vollständig verpufft.
Wir mieten uns brav unseren Sonnenschirm mit den beiden Liegen, planen am Strand die nächsten Tagesetappen und nehmen Buchungen für die Unterkünfte vor. Die Hotelanlage mit dem eigenen Strand ist gut abgeschirmt von dem Lärm und der Hektik um uns herum und zudem nur mäßig ausgelastet. Es ist sicherlich nicht die Art von Urlaub, die wir planen würden aber für einen Tag können wir das Faulenzen hier richtig genießen


