Bregenz – Chur – Splügen – Chiavenna – Comer See
Von Bregenz nach Chur – immer am Rhein entlang
Auf einer Radreise gibt es Strecken, die man fahren muss, damit man andere fahren kann. Eine solche steht heute an. Von den 95 km, die wir heute inklusive Umwege, Baustellen usw. zurücklegen, führen bestimmt über 80 am Rhein entlang, kanalisiert und immer geradeaus.




Sicher gibt es rund um den Bodensee attraktivere Strecken, aber langweilig empfinden wir das Anfangs überhaupt nicht. Zum ersten Mal auf der Tour haben wir Alpenpanorama und mit jedem Kilometer rücken die Berge näher. Dazu kommt, dass uns der Wind im Gegensatz zu den vergangenen Tagen sehr wohlgesonnen ist und mit sanfter Gewalt anschiebt. Dass wir talaufwärts fahren, merken wir überhaupt nicht. Gestartet sind wir in Österreich, haben nach wenigen Km die Schweizer Grenze passiert und kommen bei Km 35 nach Liechtenstein. 3 Länder auf einer Tagestour hat man ja auch nicht so oft.


Ab Km 50 wird es dann aber doch etwas langweilig. Die Strecke ist durchaus schön, aber eben auf Dauer doch wenig abwechslungsreich. Vielleicht sind wir aber auch einfach schon zu verwöhnt. Wie immer freuen wir uns auf eine Einkehr, bevor es auf die letzten Meter geht. Beim ersten Besuch in einem Schweizer Café treibt uns allerdings der Blick auf die Preisliste die Tränen in die Augen. Dass die Schweiz teuer ist, wussten wir ja. Aber sooo teuer…? Pommes blank 7€, ein Crêpes mit einer Kugel Eis 12 €. Abendessen kostet ein kleines Vermögen, die einfachste Pizza über 20€. Gut, dass wir nur 2 Nächte in der Schweiz sind…
Der letzte Streckenabschnitt führt uns dann noch durch öde Gewerbegebiete und so langsam, nach rd. 90km wird es dann ziemlich zäh. Hinzu kommt, dass Chur uns auf den Blick auch nicht gerade vom Hocker reißt. Aber manche Etappen muss man zur Überbrückung eben fahren. Zudem wissen wir, dass der morgige Tag alles Mögliche werden kann, aber bestimmt nicht langweilig. Denn jetzt beginnt die heiße Phase der Alpenüberquerung.
Der Berg ruft und wir folgen – Von Chur nach Splügen
Als unsere nette Pensionswirtin hört, was wir heute vor haben, fährt sie beim Frühstück für ihre einzigen Gäste nochmal besonders auf und gibt uns danach noch Alufolie, damit wir die Reste für unterwegs einpacken können. Heute beginnt für uns der erste Teil des Aufstiegs zum Splügenpass durch das Tal des Hinterrheins. Gut 1300 Höhenmeter stehen an.



Schon kurz nach der Ausfahrt aus Chur beginnt der erste knackige Anstieg. Auf Schotterwegen geht es steil bergauf, teilweise an die 20%, so dass das Hinterrad im Wiegetritt durchrutscht. Gestern hatte ich mir auf der langweilig ebenen Strecke noch ein paar Steigungen gewünscht und jetzt bin ich voller Demut und pumpe wie ein Ochsenfrosch. Oben angekommen habe ich 130 HM gemacht, ein Zehntel des Tagespensums. Das kann ja heiter werden…
Dafür ist die Landschaft erste Sahne! Alpenpanorama, saftige Wiesen mit Kühen und Kuhglockengebimmel, so wie man das aus den schmalzigsten Heimatschmonzetten kennt.
Der eigentliche Anstieg beginnt aber erst nach Thusis. Wir sind mittlerweile auf der Bundesstraße unterwegs, die aber aufgrund der parallel verlaufenden Autobahn erfreulich wenig Verkehr aufweist. Nach 35 km führt uns die Route durch die Via Mala, eine Schlucht, die Reisenden in früheren Zeiten das Fürchten gelehrt hat. Angst muss man heute keine mehr haben, aber ein wenig mulmig zumute wird uns dafür beim Befahren der ziemlich langen Tunnel. Das liegt weniger an dem schummrigen Licht, sondern mehr an der unheimlichen Akustik. Nähert sich von hinten ein Kleinwagen, hört sich das schon aus hunderten Metern Entfernung an, als sei eine Bomberstaffel im Anflug. Bei einer Harley erscheint die Apokalypse unmittelbar bevor zu stehen.



In Andeer, auf etwa 1000m Höhe, tanken wir nochmal jeder einen Eiskaffee für schlappe 12€ das Stück, bevor es auf die letzte Etappe geht. In Serpentinen schlängelt sich die Straße den Berg hinauf und gibt uns einen Vorgeschmack auf den Morgen anstehenden Splügenpass. Getreu dem Ausdauersportler-Motto „Nicht die Strecke tötet, sondern das Tempo“ lasse ich mir Zeit, fahre meistens im ersten Gang und habe oft nicht mehr als 6 km/h auf der Uhr. Dafür hat dieses gleichmäßige Kurbeln von Serpentine zu Serpentine etwas Meditatives, ganz anders als auf den ruppigen Waldstrecken, wo sich alle paar Meter der Neigungswinkel ändert. Ich habe das Passfahren schon zu meinen Rennradzeiten sehr gemocht.



Kerstin muss sich heute dafür sehr in Geduld üben. Mit ihrem E Bike könnte sie die Strecke vermutlich in der Hälfte der Zeit fahren. So aber fährt sie immer mal ein Stück vor, macht Fotos und wartet auf mich, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Das traumhafte Wetter macht das Ganze auch etwas einfacher.



Am Nachmittag erreichen wir Splügen, den bisher schönsten Ort unserer Reise. In dem 400-Seelen-Dorf haben wir ein schnuckeliges Hotel gefunden und freuen uns schon auf die morgige Auffahrt zum gleichnamigen Pass. (An dieser Stelle interveniert Kerstin, sie freut sich erst mal auf’s Abendessen.)
Über den Alpenhauptkamm – Von Splügen nach Chiavenna
Wir sind über den Berg!
Genau eine Woche, nachdem wir vor unserer Haustür in Eschborn gestartet sind, stehen wir auf dem Scheitel des Splügenpasses in 2114m Höhe und sind glücklich und auch ein wenig stolz, es geschafft zu haben. Die Passhöhe ist gleichzeitig die schweizerisch-italienische Grenze. Viva Italia!
Der Aufstieg verlangt uns nochmal einiges ab. Einfahren ist nicht, es geht gleich zur Sache, sprich: auf die Passstraße. Während sie sich in gleichmäßigen Serpentinen den Berg hoch schlängelt, empfiehlt uns die Routing App Komoot (von der ich grundsätzlich begeistert bin) nach wenigen Metern eine Ausweichroute über einen Schotterweg, der geradlinig bergauf führt.



Wir sind skeptisch, folgen ihm aber trotzdem. Ein Fehler, wie sich sehr schnell herausstellt! Der Weg wird immer steiler, ich pfeife schon aus dem letzten Loch, als sich nochmals eine Rampe vor uns auftut. Nichts geht mehr, schieben ist angesagt. Selbst Kerstin schafft es nicht durchzufahren, weil beim E-Bike das Hinterrad durchdreht. Zudem sind wir inmitten einer Kuhweide gelandet und sie muss sich den aufdringlichen Annäherungen eines Kalbes erwehren, dabei wirkt sie gar nicht wie ein Muttertier. Die Schiebestrecke geht zwar nur 500 m aber zum Schluss ist es so steil, dass ich nur noch im „Hau-Ruck-Verfahren“ vorankomme. Als wir erleichtert wieder auf der Straße angelangt sind, haben wir gerade einmal 2 km geschafft.



Aber dann ist wieder „meditatives Kurbeln“ angesagt und wir nähern uns langsam aber sicher der Passhöhe. Es ist wenig Verkehr, und die, die unterwegs sind, fahren sehr rücksichtsvoll. Die Aussicht ist natürlich toll und in den Serpentinen kann man immer wieder einen Blick nach unten werfen und sehen, was man schon geschafft hat. Das motiviert zusätzlich!
Die Passhöhe selbst ist eher karg und nüchtern. Ein paar Straßenschilder, ein Grenzstein, ein ehemaliges Zollhäuschen – das war’s. Früher war mehr Lametta! Bei aller Freude ist Kerstin dann doch ein wenig geknickt, als ein Tourist zunächst bewundernd auf uns zukommt, dann ihr Fahrrad sieht und mit einem despektierlichen „Achso, ein E-Bike“ wieder von dannen zieht. Kerstin fährt fast die ganze Strecke im Eco-Modus mit wenig Unterstützung. Seit gestern haben wir 90 km zurückgelegt, dabei über 2000 Höhenmeter erklommen und sie hat immer noch 2 von 5 Balken auf der Ladeanzeige. Auch E-Bike-fahren kann man sportlich betreiben!



Was dann kommt, ist eine Sahneabfahrt, wie man sie auch in den Alpen nicht allzu oft finden dürfte. Von über 2100m geht es runter auf 300m. 51 Kehren hat die Abfahrt und da sind die „normalen“ Kurven noch gar nicht mit drin. Die Aussicht ist spektakulär, alles in allem ist es atemberaubend!



In Montespluga, dem ersten Ort hinter der Grenze, machen wir Halt, genießen die italienische Gastfreundschaft und eine Nusstorte zum Niederknien.
Die heutige Etappe ist relativ kurz, da wir bisher schneller vorangekommen sind, als geplant. Normalerweise wären wir heute bereits in Thusis gestartet. Sie endet in Chiavenna, einem sehr schönen Städtchen, in dem wir eine tolle Unterkunft gefunden haben. Ein kleines Apartment inmitten der Altstadt mit einer wunderschönen Terrasse. Kaum in Italien angekommen, hat uns die typische Atmosphäre, das quirlige Leben und die sympathische Art der Menschen schon wieder voll in ihren Bann gezogen.



Schwer zu glauben, dass wir bis gestern morgen noch nicht wirklich in den Alpen waren – bis Chur war ja alles flach – und sie jetzt schon hinter uns haben! Bis zum morgigen Ziel am Comer See werden sie noch prächtige Kulisse sein, aber echte Steigungen sind nicht mehr zu erwarten. Danach beginnt die Po-Ebene. Die nächsten Berge erwarten uns erst wieder bei der Überfahrt der Apenninen in die Toskana. Fast ein bisschen schade…
Am Comer See – Von Chiavenna nach Menaggio
Aufzubrechen fällt uns heute besonders schwer. Zu liebevoll ist das Frühstück auf der schönen Terrasse unseres Apartments angerichtet. Außerdem haben wir uns in den Ort Chiavenna regelrecht verliebt.
Wir können uns aber auch wirklich Zeit lassen, denn es ist 10:00 Uhr bis wir auf die Räder steigen und Check-in in der nächsten Unterkunft ist ab 15:00. 5 Stunden für 54 km, das klingt eher nach gemütlicher Kaffeefahrt als nach ambitionierter Radtour.
So lassen wir uns langsam treiben, zunächst am Flüsschen Mera entlang, das schon bald in den Lago di Mezzola mündet, einem dem Lago di Como vorgelagerten See. Obwohl wir mittlerweile schon wieder auf gut 200 m sind, umrahmen uns noch schneebedeckte Berge. Eine malerische Kulisse! Immer wieder halten wir an und genießen die Aussicht. Eigentlich will man an einer Tour fotografieren, um nur nichts zu verpassen.



Das ändert sich auch nicht, als wir den Comer See erreichen. Wir sind überrascht, wie entspannt es hier im Norden des Sees ist. Überhaupt nicht überlaufen. Zudem gibt es überall freien Zugang zum See. Das kennen wir von den deutschen Seen anders, wo vieles am Ufer in Privatbesitz oder der Besuch im Strandbad kostenpflichtig ist.



In einer Strandbar in Domaso schlürfen wir einen leckeren Eiscappucino. Aus der Box ertönt Reggae, was unsere Stimmung sehr gut wiedergibt. Weiter Richtung Süden fahrend wechseln wir immer wieder zwischen Strandpromenade und Uferstraße. Die Strandpromenade ist oft so schmal, dass wir die Räder schieben, was uns beim heutigen Zeitplan aber nicht schwerfällt. Auf der Straße wird es schnell unangenehm, denn sie ist ebenfalls schmal, dazu kommt noch der Schwerverkehr. Dann doch lieber relaxed direkt am Ufer …
Leider haben wir heute nicht ganz so viel Glück mit der Unterkunft, zumal wir hier morgen unseren ersten „Ruhetag“ begehen. Es ist etwas abgelegen und direkt nebenan ist eine Baustelle. Die Buchung haben wir bereits zuhause vorgenommen, da an Wochenenden die Mailänder an den See strömen und es dann wohl mit Quartieren schon mal eng werden kann. Egal, wir werden das Beste draus machen…
Verschnaufen am Lago
Der erste Tag Pause nach 9 Tagen im Sattel! Wir waren gespannt, wie sich das anfühlt. Um es vorwegzunehmen: Geht so. Naja, ganz ehrlich: Radfahren ist schöner! Aber gebucht ist gebucht…
Der letzte Radtag war so locker, dass es eigentlich keiner weiteren Pause bedurft hätte, Zudem ist es ja auch nicht so, dass die bisherige Tour nach dem Motto „Train, eat, sleep and…repeat“ abgelaufen wäre – ganz im Gegenteil. Es ist die schönste Art von Urlaub! Bei kaum einer anderen bekommt man so den Kopf frei. Dass man dabei auch schon mal an seine Grenzen kommt, gehört dazu, ist aber nicht der eigentliche Sinn der Sache.
„Der Weg ist das Ziel“ passt nirgends besser, als bei dieser Art zu reisen. Man nimmt die Natur mit all seinen Sinnen wahr und kommt durch wunderschöne Orte, von denen man vorher nie gehört hat. Immer wieder haben wir auf unseren Touren erlebt, dass man die schönsten Perlen dort findet, wo man sie nicht sucht.



Umgekehrt wird man auch schon mal enttäuscht, wenn die Erwartungen zu hoch sind, was mitunter bei echten Hotspots vorkommt. „Die Hölle, das sind die anderen“ hat Sartre gesagt und man möchte hinzufügen “ zumindest wenn zu viele von denen da sind“. Da der Strand in Menaggio geschlossen ist, nehmen wir an unserem „Ruhetag“ die Fähre auf die Ostseite des Sees nach Varenna. Auch dort ist der Strand „aus Sicherheitsgründen“ (wir vermuten, es liegt an der Wasserqualität) geschlossen. Trotzdem zwängen sich Heerscharen an Menschen bei einer Affenhitze durch die schmalen Uferpromenaden und Gassen. Ein einziges Geschiebe und Gedränge! Wir sind das echt nicht mehr gewohnt und am Ende des Tages fühlen wir uns kaputter als nach einem langen Radtag. Unser Tipp an alle, die sich den wunderschönen Comer See als Ziel aussuchen: konzentriert euch auf den Norden. Dort ist es viel entspannter.
Und entspannt sind auch wir, wenn wir morgen wieder auf die Räder dürfen