Die Tour beginnt

Was für ein Tag. Morgens noch die große Anspannung und abends das reinste Urlaubsfeeling! Aber der Reihe nach…

Zugfahrt nach Kaohsiung

Es ist 6:00 als unser Wecker geht und wir ohne Frühstück anfangen, die Räder aufzusatteln. Wir müssen früh los, denn um kurz nach Acht geht unser Zug nach Kaohsiung. Um ihn zu erreichen, müssen wir noch quer durch die Stadt fahren. Für die 8 km durch das morgendliche Gewimmel und den anschließenden Orientierungslauf durch den Bahnhof brauchen wir über eine Stunde. 

Der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung Taiwans lebt im Nordwesten der Insel. Hier gehen die Städte fast ineinander über. Wir hatten uns bei der Planung der Tour dazu entschlossen, diesen Ballungsraum mit dem Zug zu durchqueren und die kostbare Zeit auf dem Rad lieber in den schöneren Ecken des Landes zu verbringen.

Wir merken schnell, dass das die richtige Entscheidung war. Bei trübem Wetter fahren wir durch endlose Siedlungen und Gewerbegebiete, ab und zu von Reisfeldern unterbrochen. Alles erscheint grau in grau und die zum Teil trostlos wirkenden Häuser lassen kaum erahnen, dass wir uns in einem der am weitesten entwickelten Länder der Erde befinden. Rund 80% der  Hochleistungs-Halbleiter weltweit kommen von hier. Es gibt bei uns so gut wie kein Handy, Auto oder Computer in denen die Dinger nicht verbaut sind.

5 Stunden braucht der Zug für die gut 350 km. Der Schnellzug schaft es in weniger als der Hälfte der Zeit, hat aber keine Fahrradplätze. Wir schauen uns die Gegend an, lassen die Seele baumeln und so vergeht die Zeit wie im Flug. Das einzige,was stört ist die Kälte durch die Klimaanlage. Das scheint ein generelles Phänomen wärmer Länder zu sein. Je wärmer es draußen ist umso tiefer regelt man die Temperatur. Da lobe ich mir doch die Züge der Deutschen Bahn. In ihnen ist es im Sommer heiß und stickig und im Winter rattenkalt, damit man immer weiß, welche Jahreszeit gerade ist.

Der Zug kommt nach 5 Stunden mit einer Minute Verspätung an. Pech gehabt, denn normalerweise ist er pünktlich. Wir tragen es mit Fassung, denn ansonsten ist alles perfekt. Die Sonne scheint und wir sehen die ersten Palmen. Wir sind in den Tropen angekommen. Die Temperatur liegt über 25° und wir packen erstmal einen Großteil unserer Klamotten in die Packtaschen. Dann steigen wir auf die Räder und fahren durch die Stadt am südchinesischen Meer, die mir auf den ersten Blick noch besser gefällt als Taipeh.

Cinjin

Nach ungefähr 10 km erreichen wir die Fähre nach Cinjin, eines westlich vorgelagerten Inselstreifens , die nur Fußgänger und Zweiräder transportiert und voll ist mit Motorrollern. Von dort haben wir einen tollen Blick auf die Skyline von Kaohsiung.

Cinjin erweist sich als echter Glücksgriff bei der Buchung. Unser Hotel liegt an einem schönen Strand, den wir sofort aufsuchen, um die Wassertemperatur zu testen. Befund: sehr angenehm! 

Den Sonnenuntergang nehmen wir an einer Strandbar mit und danach essen wir wieder an den Garküchen der Straße. So fühlt sich Urlaub an! Und das Schönste: Unsere Radreise geht jetzt erst richtig los!

Von Kaohsiung nach Fangliao – unser erster echter Radtag!

Nach einer langen Nacht, in der wir einiges an Schlaf nachholen starten wir entsprechend spät. Wir können es uns leisten, denn zum Einradeln stehen heute lediglich 52 km auf dem Programm. 

Cinjin ist ein der Stadt Kaohsiung vorgelagerter Inselstreifen von ungefähr 10 km Länge. Wir sind ganz im Norden und laut unserer  Planungsapp Komoot gibt es ganz im Süden noch einen Übergang auf’s Festland. Da wir in Richtung Süden Taiwans unterwegs sind, machen wir uns erst einmal auf den Weg, ein wenig euphorisch, dass die Radtour nach einer Woche Peking und Taipeh endlich losgeht. Es ist ein sehr schöner Radweg, der uns direkt am Meer entlang führt. Unsere Navigation über den Fahrradcomputer funktioniert nicht, da Garmin für Taiwan keine Karten unterlegt hat. Aber was solls? Wir wollen die Insel umrunden und so lange das Meer rechts von uns ist, können wir ja nicht so ganz falsch sein. Denkste!

Am südlichen Ende des schönen Radwegs stehen wir vor einem großen Industriegebiets und es geht nicht mehr weiter. Offensichtlich haben wir den Abzweig zum Übergang auf das Festland verpasst. Also ein paar Kilometer zurück und dann finden wir ihn tatsächlich. Er führt uns durch das Industriegebiet und irgendwann ist der Tunnel zum Festland auch ausgeschildert. Wir atmen auf. Geht doch!

Nur ein paar hundert Meter noch und dann müsste er kommen. Plötzlich hören wir eine Trillerpfeife und sehen einen wild gestikulierenden Polizisten. Wir fahren zu ihm und er erklärt uns freundlich, dass der Tunnel für Radler nicht zugelassen ist, vermutlich wegen des ganzen Schwerverkehrs. Wir müssen den kompletten Weg zurück. Dabei entschuldigt er sich mehrmals, als ob es seine Schuld sei. In China hätten wir bei dem Polizisten stramm gestanden aber hier in Taiwan ist alles ungleich lockerer.

So nehmen wir es gelassen, dass wir nach 20km und ungefähr 2 Stunden irrlichtern wieder vor unserem Hotel der letzten Nacht stehen und von dort Fähre zum Festland nehmen. 

Der guten Laune tut auch die anschließende Fahrt durch die 2,3-Millionenstadt Kaohsiung keinen Abbruch – im Gegenteil! Mittlerweile kommen wir gut mit dem Trubel zurecht und die Fahrt durch diese wirklich geile Stadt schafft mir ein dickes Grinsen ins Gesicht. Kerstin geht es ähnlich. Bei einer kurzen Rast an einem Straßencafé stellen wir fest, dass man schon ziemlich bekloppt sein muss, sich in unserem Alter sowas anzutun es aber auch unheimlich schön ist, so bekloppt zu sein!

Weiter geht die Route Richtung Flughafen und wer einmal eine typische Ausfallstraße zwischen City und dem dazugehörigen Airport gefahren ist, der kennt sie im Prinzip alle. Mehrspurig, haufenweise Schwerverkehr, Lärm und öde Gewerbegebiete. Unsicher fühlen wir uns trotzdem nicht. Die Radwege sind entweder abgesetzt oder es gibt breite eigene Fahrspuren, die wir uns aber mit den Massen an Rollern teilen, die hier wie Hornissenschwärme unterwegs sind. Erst im späteren Verlauf der Tour sind wir auf den uns bekannten Seitenstreifen unterwegs, aber da lässt der Verkehr auch nach und die Landschaft wird wieder attraktiver.

Nach insgesamt 73 km erreichen wir unser Ziel. Über Winter ohne Trainingskilometer und bei schwülen knapp 30° hat uns die Tour schon ziemlich zugesetzt. Wir sind müde aber glücklich und freuen uns – wie immer – auf  Dusche, kühles Bierchen und ein leckeres Abendessen.

Von Fangliao in den Kenting-Nationalpark

Die heutige Route führt uns weiter an der Westküste entlang, wo wir bei Kenting und dem gleichnamigen Nationalpark die südlichste Ecke Taiwans erreichen.

Seit wir gestern nach unserer Odyssee in Cinjin wieder in Kaohsiung losgefahren sind, rollen wir auf der Radroute A1, die auch ausgeschildert ist und einmal ganz rund um die Insel führt. Man darf sie sich aber nicht so idyllisch vorstellen, wie Radrouten bei uns. Die meiste Zeit fahren wir entlang der 4-spurigen Hauptstraße auf einem gut 2 Meter breiten Seitenstreifen, den wir uns mit den Motorrollern teilen. Es sind auch viele LKW auf der Route unterwegs und dementsprechend laut ist es. Links die stark befahrene Straße und rechts endlose Aneinanderreihungen von Fischkulturen – so richtig prickelnd ist das nicht.

Doch schon bald verläuft die Route immer öfter an der Küste und die Aussicht wird deutlich besser. Als die Straße nach gut der Hälfte der Strecke wieder einen direkteren Verlauf durchs Landesinnere nimmt, folgen wir weiter der Küste, auch wenn damit ein kleiner Umweg verbunden ist und die Beine langsam schwer werden. Im letzten halben Jahr hab ich mich nur mit Laufen einigermaßen fit gehalten und kaum auf dem Bock gesessen. Bin halt bekennender Schönwetterfahrer und das rächt sich jetzt. Zudem setzt mir diese Schwüle bei 30° ganz schön zu.

Irgendwann kommen die Lebensgeister aber wieder, denn mit jedem Kilometer Richtung Süden lässt der Verkehr nach und  und Landschaft wird schöner. Der  Blick auf die herrlichen Buchten lassen die Anstrengungen fast vergessen.

Nach der Ankunft in unserem B&B wechseln wir sofort von Rad- in Badekleidung. Auch wenn der malerische Sandstrand aufgrund des Nationalparkcharakters den Schildkröten vorbehalten ist und wir stattdessen mit dem felsigen Ufer Vorlieb nehmen müssen, ist das Bad im Meer eine echte Wohltat!

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